Die Urth der Neuen Sonne
Klienten seiner Zunft sprach. Seiner Zunft, sage ich, obwohl ich mir mittlerweile sicher gewesen bin, daß es auch meine Zunft gewesen ist.
Die langen Schatten verrieten mir, daß es noch früh am Morgen war, was sich kurz darauf bestätigte, als Türen knallten und Schritte polterten: mein Atole wurde gebracht. Da meiner Tür der übliche Schlitz fehlte, war der Geselle gezwungen, zur Seite zu treten mit seinem Tablett-Stapel, während ein zweiter Geselle mit einer Hellebarde, der beinahe wie ein Soldat aussah, das Schloß aufsperrte.
»Siehst recht gesund aus«, sagte er, als er mein Tablett in die Türschwelle stellte.
Ich erwiderte, daß ich mich schon besser gefühlt hätte.
Er rückte näher. »Hast sie umgebracht.«
»Die Frau, die Madame Präfekt genannt wurde?«
Er nickte, wie auch der andere Geselle nickte. »Genick gebrochen.«
»Wenn ihr mich zu ihr bringt«, erklärte ich, »kann ich sie vielleicht wieder lebendig machen.«
Sie tauschten einen Blick aus, schlugen die Tür hinter sich zu und gingen.
Sie war also tot, und sie war, wie ich dem Blick entnehmen konnte, verhaßt gewesen. Einst hatte mich Cyriaca gefragt, ob mein Ansinnen, sie zu befreien, nicht eine letzte Folter wäre. (Komplett mit den rankenden Reben und dem fahlen Mondschein erstand, den Tiefen meiner Erinnerung entsteigend, die Laube in der taghellen Zelle.)
Ich hatte ihr erwidert, daß uns kein Klient Glauben schenke; ich indes hatte Madame Präfekt geglaubt – hatte zumindest geglaubt, ich könnte ihr entwischen, obwohl ich wußte, daß sie andrer Überzeugung war. Und die ganze Zeit über war eine Waffe auf mich gerichtet vom Matachin-Turm aus – vielleicht sogar genau aus dieser Luke, obwohl der Geschützraum unterm Dach wahrscheinlicher war.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als abermals ein Geselle kam – diesmal in Begleitung eines Arztes. Die Tür öffnete sich, der Arzt trat ein, und der Geselle sperrte hinter ihm ab und trat zurück, um im Falle des Falles durch die Gitterstäbe zu schießen.
Der Arzt setzte sich auf meine Pritsche und klappte seine lederne Tasche auf. »Wie geht’s uns?«
»Hungrig.« Ich warf Schüssel und Löffel hin. »Haben mir das gebracht, ist aber fast nur Wasser.«
»Fleisch verdient, wer den Monarchen verteidigt, nicht der Umstürzler. Dich soll der Konvulsor getroffen haben?«
»Wenn du es sagst. Ich weiß nichts davon.«
»Meiner Ansicht nach ist es ausgeschlossen. Steh auf!«
Ich stand auf und hob auf Anweisung Arme und Beine, ließ den Kopf kreisen und so fort.
»Es hat dich nicht getroffen. Du trägst ein Offizierscape. Bist du ein Offizier gewesen?«
»Wenn du meinst. Bin General gewesen, zumindest ehrenhalber. Ist schon eine Weile her.«
»Und du lügst. Das Cape, das du trägst, ist vom Offiziersanwärter, damit du’s weißt. Diese Narren glauben, sie hätten dich getroffen. Derjenige, der geschossen hat, schwört darauf, habe ich gehört.«
»Dann frag ihn doch.«
»Um mir anzuhören, wie er bestreitet, was ich schon weiß? So dumm bin ich nicht. Soll ich dir erklären, was passiert ist?«
Ich meinte, darauf wartete ich schon lange.
»Also gut. Das Erdbeben fing an, als du vor Madame Präfekt Prisca davonranntest, und in dem Moment schoß der Idiot auf dem Kanonendeck auf dich. Er schoß, wen wundert’s, daneben, während du stürztest und dir den Kopf anschlugst, so daß er glaubte, getroffen zu haben. Ich habe schon eine ganze Reihe von diesen vermeintlichen Wundern gesehen. Des Rätsels Lösung ist immer recht simpel, sobald man erkennt, daß die Zeugen Ursache und Wirkung durcheinander bringen.«
Ich nickte. »Es gab ein Erdbeben?«
»Gewiß, und was für eines! Wir haben Glück, daß wir so gut davongekommen sind. Hast du nicht hinausgeschaut? Von hier mußt du die Mauer sehen können.« Er trat vor die Luke und schaute selbst hinaus und deutete (wie man das oft beobachtet), als hätte ich’s schon gesehen. »Beträchtlicher Teil eingestürzt. Glück gehabt, daß nicht auch das Schiff gekippt ist. Bildest dir doch nicht etwa ein, du hättest das zum Einsturz gebracht?«
Ich entgegnete, ich hätte keinen blassen Schimmer, warum die Mauer eingestürzt sei.
»Diese Küste ist erdbebengefährdet, wie alte Aufzeichnungen – die Ehre gebührt dem Monarchen, der sie hergebracht hat – recht deutlich aufzeigen, aber es hat kein Erdbeben mehr gegeben, seitdem der Fluß seinen Lauf geändert hat, so daß die meisten dieser Narren glauben, es gäbe nie
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