Die Urth der Neuen Sonne
daß du ihr verzeihst.«
»Weil du mich seinetwegen verlassen hast, Burgundofara? Da gibt’s nichts zu verzeihen; ich habe keinerlei Anspruch auf dich.«
»Weil ich auf dich gezeigt habe, als die Soldaten gekommen sind. Du hast mich gesehen. Ich weiß, daß du mich gesehen hast.«
»Ja«, sagte ich, als es mir wieder einfiel.
»Es war kopflos von mir … Ich hatte Angst …«
»Angst vor mir.« Sie nickte.
Hadelin meinte: »Sie hätten dich sowieso gekriegt. Es hätte eben ein anderer auf dich gezeigt.«
»Du?« fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf und tat einen Schritt zurück vom Türgitter.
In meiner Zeit als Autarch hatten viele Bittsteller vor mir gekniet; nun kniete Burgundofara nieder, was furchtbar unangebracht wirkte. »Ich mußte mit dir sprechen, Severian. Ein letztes Mal. Deshalb folgte ich den Soldaten zum Kai in der Nacht. Willst du mir nicht verzeihen? Ich hätte es nicht getan, aber ich hatte schreckliche Angst.«
Ich fragte sie, ob sie sich noch an Gunnie erinnere.
»O ja, und ans Schiff. Wenngleich es mir jetzt wie ein Traum vorkommt.«
»Sie ist du gewesen, und ich verdanke ihr sehr viel. Ihretwegen – dienetwegen – verzeihe ich dir. Jetzt und in jeder andern Zeit. Verstehst du?«
»Denke schon«, antwortete sie und strahlte mit einemmal übers ganze Gesicht, als wäre ein Licht in ihr entfacht worden. »Severian, wir fahren flußabwärts nach Liti. Hadelin kommt oft dorthin, und wir kaufen ein Haus, in dem ich wohne, wenn ich nicht bei ihm auf der Alcyone bin. Wir wollen Kinder haben. Darf ich ihnen, wenn ich welche bekomme, von dir erzählen?«
Obwohl ich damals glaubte, es rühre lediglich daher, daß ich ihr und Hadelins Gesicht gleichzeitig sehen konnte, geschah bei ihren Worten etwas Merkwürdiges: ich wurde mir ihrer Zukunft gewahr wie etwa der Zukunft einer Blume, die Valeria im Garten gepflückt hatte.
Ich erwiderte: »Wenn du Kinder bekommst, Burgundofara, wie du es dir wünschst, kannst du ihnen von mir aus alles erzählen. Es mag sein, daß du irgendwann auch den Wunsch verspürst, mich wieder zu finden. Wenn du suchst, findest du mich vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber falls du suchst, so wohlgemerkt nicht deshalb, weil ich es dir gesagt oder dir versprochen habe, daß du mich finden wirst.«
Nachdem sie gegangen waren, dachte ich kurz über sie und Gunnie nach, die einmal Burgundofara gewesen war. Wir sagen, ein Mann ist mutig wie ein Atrox und eine Frau anmutig wie eine Ricke, wie es für Burgundofara gegolten hat. Indes fehlt uns ein solches Bild für Treue, denn nichts, was wir kennen, ist absolut treu – das heißt, wahre Treue findet sich nur im Individuum, nicht im Typus. Ein Sohn mag seinem Vater treu ergeben sein wie ein Hund seinem Herrn, aber die meisten Söhne sind es nicht. Als Thecla war ich meinem Autarchen untreu gewesen, als Severian meiner Zunft. Gunnie war loyal gegenüber mir und Urth, aber wurde ihren Kameraden untreu; und vielleicht sind wir nicht imstande, einen sprichwörtlichen Inbegriff von Treue zu formulieren, weil Treue letztendlich Wählen ist.
Doch mutete es seltsam an, daß Gunnie die leeren Meere der Zeit befuhr, um wieder Burgundofara zu werden. Ein Poet würde wohl davon singen, daß sie Liebe suchte; mir indes erschien es so, daß sie der Illusion nachjagte, Liebe wäre mehr, als sie zu sein scheine, obwohl ich lieber glaubte, sie suche eine höhere Liebe, die keinen Namen habe.
Bald bekam ich wieder Besuch – keinen richtigen Besuch, denn ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Eine flüsternde Stimme, die im Gang ihren Ursprung zu haben schien, fragte: »Bist du der Theurg?«
»Wenn du es sagst«, erwiderte ich. »Aber wer bist du? Und wo bist du?«
»Canog, der Student. Ich bin in der Zelle nebenan. Ich habe den Jungen und eben die Frau und den Kapitän sprechen hören.«
»Wie lange bist du schon hier, Canog?« fragte ich, hoffte ich doch, er kenne sich wenigstens in gewissen Dingen aus.
»Fast drei Monate. Ich habe ein Todesurteil, aber ich glaube nicht, daß es vollstreckt wird. Nach so langer Zeit werden sie normalerweise nicht mehr vollstreckt.
Vielleicht hat sich die alte Phrontiserion für ihr fehlendes Kind verwendet, hm? Ich hoffe es zumindest.«
Ich hatte viel solches Gerede gehört zu meiner Zeit; es war ein seltsames Gefühl, daß sich daran nichts geändert hatte. Ich sagte: »Wirst mittlerweile wissen, wie’s hier so zugeht.«
»Oh, es ist, wie der Junge gesagt hat; sprich: nicht so schlecht, wenn
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