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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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bestünde, hätte ich somit einen – wenn auch noch so banalen – Teil unsrer Welt über die Schranken des Universums hinausgetragen.
    Nun betrachtete ich die Sterne, die Sonnen, die so fern waren, daß ihre kreisenden Planeten unsichtbar blieben, obgleich manche größer sein mochten als Serenus; und ganze Sternenwirbel, in denen es von Milliarden von Sternen wimmelte und die so fern waren, daß sie aufs Auge wie ein einzelnes Gestirn wirkten. Und ich besann mich nicht ohne Verwunderung, daß mir in meinem Ehrgeiz alles dies zu winzig erschienen war, und fragte mich, ob es gewachsen sein mochte (gleichwohl die Mysten beteuern, daß es nicht mehr wachse) oder ich.
    Der zweite Grund war vielleicht auch kein rein vernunftmäßiger: nur ein Instinkt und ein überwältigendes Verlangen – ich wollte ganz nach oben. Um meinen Entschluß zu rechtfertigen, könnte ich anführen, daß sich eine solche Gelegenheit bestimmt nicht wieder böte, daß es sich in meinem Amte schwerlich geziemte, wenn ich mich mit weniger begnügte als die gemeinen Matrosen, sobald die Pflicht sie rief, und so weiter.
    Lauter vernünftelnde Rechtfertigungen, während es an sich um Ruhm und Ehre ging. Seit Jahren war meine einzige Freude das Siegen, und nun kam ich mir wieder als Kind vor. Als ich den Großen Turm erklimmen wollte, war ich nie auf den Gedanken gekommen, daß der Große Turm selbst vielleicht den Himmel erklimmen wollte; jetzt wußte ich’s besser. Dieses Schiff wenigstens stieg über den Himmel hinaus, und ich wollte mit ihm steigen.
    Je höher ich stieg, desto leichter und gefährlicher wurde es. Kein Bruchteil von Gewicht war mir verblieben. Immer wieder sprang ich, packte ein Segel oder eine Falleine, kämpfte mich auf die Beine und tat den nächsten Satz.
    Nach einem Dutzend Sprüngen glaubte ich plötzlich, daß es keinen Grund gebe, vor dem höchsten Punkt des Mastes innezuhalten – daß mich ein einziger Sprung dorthin brächte, wenn ich mich nur nicht sträubte. Dann schoß ich empor wie eine Neujahrsrakete; ich stellte mir beinahe vor, daß ich heulte wie eine solche oder einen Schweif rotblauer Funken versprühte.
    Segel und Taue flogen in endloser Prozession an mir vorbei. Einmal glaubte ich, ein verwischtes, karminrot geädertes, goldenes Gebilde zu sehen, das offenbar zwischen zwei Segeln aufgespannt war; soweit ich mir überhaupt Gedanken darüber machte, hielt ich es für ein Instrument, das so nahe wie möglich bei den Sternen aufgestellt war – oder aber für ein Ding, das achtlos auf Deck liegengeblieben und bei einer kleinen Kursänderung davongesegelt war.
    Und immer noch schoß ich höher.
    Der Großmars kam in Sicht. Ich griff nach einer Fallleine. Die waren kaum mehr fingerdick, obwohl jedes Segel zweihundertmal so groß wie eine Wiese war.
    Ich hatte den Abstand falsch eingeschätzt und verfehlte die Falleine knapp. Eine zweite schoß vorbei.
    Und eine dritte – mindestens drei Ellen außerhalb meiner Reichweite.
    Ich wollte mich drehen wie ein Schwimmer, aber brachte nur das Knie hoch. Die glänzenden Taue des Takelwerks lagen selbst tief unten weit auseinander, wo es für diesen einen Mast über hundert gab. Nun blieb nur mehr die Startopwante. Ich streifte sie mit den Fingern, aber bekam sie nicht zu fassen.
     

 
Der fünfte Matrose
     
    Mein Ende war nahe, und ich wußte es. An Bord der Samru wurde vom Heck ein langes Seil nachgeschleppt zur Rettung von Matrosen, die über Bord gingen. Ob unser Schiff ein solches Seil hinter sich herzog, wußte ich nicht; aber selbst wenn, so hätte mir das wenig genutzt. Mein Unglück (meine Tragödie, so bin ich zu schreiben versucht) war nicht, daß ich über die Reling gefallen und achtern hinters Ruder abgetrieben war, sondern daß ich über den gesamten Mastenwald aufgestiegen war. Und mit der anfänglichen Geschwindigkeit meines Satzes stieg ich ständig höher – vielmehr entfernte ich mich vom Schiff, denn ebensogut konnte ich kopfüber fallen.
    Unter mir oder besser in Richtung meiner Füße lag das Schiff, das wie ein in die Ferne entrückter, silberner Kontinent aussah; die schwarzen Masten wirkten fein wie die Fühler einer Grille. Ringsum erstrahlten ungehemmt die Sterne und leuchteten in einer auf Urth unbekannten Pracht. Schon hielt ich, nicht weil mein Verstand tätig wurde, sondern weil er aussetzte, nach ihr Ausschau; sie wäre grün, meinte ich, grün wie der fahle Mond, aber mit weißen Kappen bedeckt, wo die Eisfelder ans auskühlende Land

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