Die Vagabundin
Kaltenbach …» –«Nie und nimmer – dem hat der Bischof neulich erst eins auf die Mütze gegeben …»
Eva fuhr herum. Hinter ihr stand Niklas und sah sie fragend an. Sie legte ihm die Hand auf den Mund und zog ihn von der Böschung weg.
«Was haben die da geredet?», fragte er, als sie sich vom Bach her wieder dem Wagen näherten.
«Ich weiß es nicht», entgegnete sie. Dabei hatte sie bereits eine Ahnung.
12
Zwei Stunden später wurde die Ahnung zur furchtbaren Gewissheit. Längst hätten sie die Stadt, deren Umrisse Eva in der Ferne gesehen hatte, erreichen müssen.
Sie stieß Theres in die Seite.
«Hier stimmt was nicht. Die führen uns am Narrenseil – wir müssten schon lange da sein.»
Ihre Stimme zitterte, jede Faser ihrer Muskeln war angespannt.
«Affengeschwätz!» Theres schnaubte verächtlich. «Was bist du immer so misstrauisch?»
Eva schüttelte den Kopf. «Du hättest hören sollen, wie sie über uns getuschelt haben, vorhin, bei der letzten Rast.»
Sie warf einen Blick in Richtung Kutschbock. Zwischen den Umrissen der beiden Fettmilchs war nur ein kleines Stückchen Himmel zu sehen. Da spürte sie, dass der Wagen leicht bergauf zog, als ob es wieder in die Berge ginge.
«Ich will jetzt wissen, wo wir sind.»
Entschlossen kroch sie über die rüttelnde Ladefläche nach vorn. Und traute ihren Augen nicht: Da war keine Flussniederungmehr! Stattdessen ging es links der Straße eine Böschung hinunter, rechter Hand zog sich dichter Wald den Berghang hinauf. Noch etwas anderes entdeckte sie: Fettmilch hatte sich das Haar hinters Ohr gestrichen, ganz deutlich sah sie nun das geschlitzte Ohrläppchen. Dieser Mann war gar kein ehrbarer Schlossermeister! Wegen irgendeines Vergehens hatte man ihn aus der Zunft ausgeschlossen und als sichtbares Zeichen hierfür den Ohrring ausgerissen.
«Das ist doch die falsche Richtung!», stieß sie hervor.
Vinzenz Fettmilch fuhr herum. Er wirkte erschrocken, brach dann aber in schallendes Gelächter aus.
«Aber nein, meine Süße, wir sind schon richtig hier.»
Im nächsten Augenblick schnellte seine Faust gegen ihre Brust, sie fiel ins Dunkel des Wagens zurück, krachend schlug ihr Kopf gegen etwas Hartes. Für kurze Zeit wurde ihr schwarz vor Augen, dann hörte sie die Schreie der anderen Mädchen, dazwischen lautes Fluchen von Eusebia. Sie spürte, wie ihr die Hände auf dem Rücken gefesselt wurden.
«Los, bring das Miststück nach hinten, zu den anderen», hörte sie den Mann rufen. Unter geräuschvollem Schnaufen schleifte Eusebia sie über die Ladefläche, Evas Knie krachten gegen irgendeine Kiste, ihr Hinterkopf dröhnte. Sie wollte schreien, doch ihre Kehle war vor Entsetzen wie zugeschnürt. Jetzt erst bemerkte sie, dass der Wagen zum Halten gekommen war.
Als ihre Augen endlich die Dunkelheit durchdrangen, erkannte sie, dass auch die anderen mit den Händen auf dem Rücken gefesselt waren. Vinzenz Fettmilch hockte zwischen ihnen.
«So, ihr Schönen, reden wir nicht länger um den heißen Brei.»
In seinen Händen blitzte ein Dolch auf.
«Wenn wer schreit, schlitz ich dem Zwerg hier den Bauch auf.»
«Nein», flüsterte Eva tonlos.
«Das wär nicht das erste Mal.» Sein drohender Tonfall wurde sanfter. «Was seid ihr doch für dumme Hennen! Zu glauben, wir würden euch um Gotteslohn durch die Welt kutschieren! Wollen doch mal sehen, was wir uns als Belohnung holen können.»
Er riss Niklas die neuen Schuhe von den Füßen und stopfte sie in einen Sack. Als der Junge zu schluchzen begann, verpasste ihm Eusebia augenblicklich eine Maulschelle.
«Hör auf zu flennen, Rotznase. Mein Bruder spaßt nicht mit seinem Dolch!»
«Genau!»
Als Nächstes zog Fettmilch den Mädchen ihre Wolltücher von den Schultern und knüllte sie zu den Schuhen in den Sack.
«Ja, was haben wir denn hier für ein Meisterstück! Das bringt uns sauber zwei bis drei Gulden ein.»
Damit war Evas Lodenmantel gemeint, der auf einer der Kisten lag.
«Bitte, Gevatter!» Eva brachte kaum einen Ton heraus. «Wir geben Euch alles, was wir haben. Wenn Ihr uns nur freilasst!»
«Halt die Goschn! Und jetzt zu euren Geldkatzen! Bah, die sind ja schlapp wie Greisenschwänze. Bis auf einen.» Er kicherte und riss mit einem Ruck Evas Beutel vom Rock. Ohnmächtige Wut stieg in ihr auf, als er in ihrem mühsam erarbeiteten Geld kramte.
«Lasst ihr uns jetzt gehen?», fragte Theres mit dünner Stimme.
Fettmilch lachte. «Glaubst im Ernst, dass wir euch wegen dieser
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