Die Vagabundin
erbärmlichen Ausbeute mitschleppen? Nein, nein, ein viel größeres Geschäft versprechen wir uns mit euch Süßen. Aber keine Angst, es wird euch gut ergehen, wenn ihr euch nur ein wengerl anstellig zeigt.»
«Die Schmale hier» – Eusebia tippte mit ihren Wurstfingern gegen Evas Brustbein und grinste –, «die wird dem Pfaffen gefallen! Die erinnert ihn gewiss an seine Ministranten.»
Wie ein Dolchstoß durchfuhr es Eva: Sie waren einer Kupplerin in die Hände gefallen. Sie waren tatsächlich einem dieser teuflischen Weiber auf den Leim gegangen, die in Not geratene Mädchen als Dienstmägde anlockten und dann gewaltsam in ihr Winkelbordell in irgendeiner fernen Stadt verschleppten! Und dort mussten sie geifernden, geilen Mannsbildern zu Diensten sein.
Auch Susanna schien zu begreifen. Ihr gellender Aufschrei zerriss die Stille. «Nein!»
Da schlug ihr Eusebia so heftig rechts und links ins Gesicht, dass das Mädchen ohnmächtig zur Seite kippte.
«Treibt bloß keine Possen mit uns!», schnauzte Fettmilch. «Und wer an den Zollstellen das Maul aufreißt, erlebt den nächsten Tag nicht mehr. Du kutschierst, Eusebia. Ich geb auf unsere Madln acht. Los geht’s, auf nach Nürnberg!»
Das, was jedem Trödler, jedem Kaufmann ein Graus war, diese ständigen Schlagbäume und Zollhäuschen, wurde zu Evas ganzer Hoffnung. Vielleicht würde einer der Mauteintreiber merken, dass sie hier gefangen waren. Doch ihr heimliches Flehen wurde nicht erhört.
Bei jedem Halt hörten sie Eusebia denselben Sermon säuseln: Sie seien Trödler, die mit ihren Kindern und einem Haufen alten Eisens unterwegs ins Fränkische seien. Dann beglich sie ohne Murren ihre Maut, während Vinzenz Fettmilch hinten auf der Ladefläche seinen Dolch bereithielt. Einmal, als ein Zollbüttel den Kopf ins Halbdunkel der Plane steckte, um Eusebias Angaben zu überprüfen, sah Eva die Gelegenheit gekommen.
«Helft uns! Bitte! Wir …»
Weiter kam sie nicht.
«Au!» Ein kurzer, stechender Schmerz fuhr ihr in die Seite, während gleichzeitig Fettmilch mit seinem dröhnenden Organ zu jammern begann.
«O meine arme Tochter, meine arme geliebte Tochter! Hast du wieder diese Gesichte? Verzeiht, Herr, meine Tochter ist mit Blödigkeit geschlagen, seit sie letzten Winter von einer Brücke ins eiskalte Wasser gestürzt ist. Jetzt beruhige dich doch, mein Liebes.»
Er legte den Arm um Eva und zog sie an sich. «Wenn du noch einen Laut gibst», flüsterte er, «fährt dir die Klinge bis ins Gedärm.»
«Na dann – nichts für ungut, Meister. Pfiad’s Euch Gott und gute Weiterfahrt.»
Der Kopf des Zöllners verschwand. Ein Rucken ging durch den Wagen, und sie fuhren an.
Fettmilch lockerte seinen Griff.
«Euer Evchen hat jetzt einen hübschen Kratzer in der Seite und einen Riss im Kleid. Für nichts und wieder nichts. Ich hoff, ihr andern lernt daraus.»
«Tut es sehr weh?», flüsterte Niklas.
«Nein, Igelchen. Es ist schon wieder vorbei.»
Dabei brannte die Einstichstelle wie Feuer. Erschöpft schloss sie die Augen. Niemals würden sie heil hier herauskommen. Und wenn sie dann erst in Nürnberg waren, in dieser riesigen, fremden Stadt, würden sie ihren Entführern erst recht ausgeliefert sein. Denn sie besaßen nur mehr das, was sie auf dem Leib trugen. Den anderen Mädchen hatten sie sogar die Briefe mit den Zeugnissen ihrer Dienstherren abgenommen.
Zwei Tage und zwei Nächte hockten sie gefesselt in ihrem dunklen, engen, rumpelnden Gefängnis, bei Wasser und trockenBrot. Des Nachts band Fettmilch ihnen die Füße aneinander, um sich selbst dann irgendwo zur Ruhe zu legen.
Am dritten Tag kamen sie an Regensburg vorbei, wie sie aus den Wortfetzen zwischen den beiden heraushörten, ohne dass sich irgendeine Gelegenheit zur Flucht geboten hätte. Dabei trennte nur eine dünne, schmutzige Plane sie von der Außenwelt, marschierten, ritten, fuhren andere Menschen nur wenige Schritte entfernt an ihnen vorbei. Schmerzhaft nah hörten sie fremde Stimmen, Rufe, Lachen, ohne dass sie es gewagt hätten, ihre elende Lage laut herauszuschreien. Eva hatte längst alle Hoffnung aufgegeben. Dass sie nicht, wie die anderen Mädchen, in dumpfer Teilnahmslosigkeit versank, lag einzig an ihrem kleinen Bruder. Niklas brauchte sie jetzt mehr denn je. Wenn er wach war, presste er sich an sie, meist zitterte sein schmächtiger Körper vor Angst. Dann erzählte sie ihm kleine Erlebnisse aus der Glatzer Kindheit oder erfand irgendwelche albernen Geschichten,
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