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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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taumelte durch das Spalier, geriet ins Straucheln und stürzte auf die Knie. Der Rock hing dem Murgatroyd in Fetzen vom Leib. Er riss den Mund auf, und unförmige Zahnstümpfe stachen daraus hervor. Es war derselbe Murgatroyd,
der Jago mit Pferdemist beworfen hatte. Zwei Kreuzfahrer packten den Vampir bei den Schultern, und ein dritter stieß ihm eine abgebrochene Pfahlspitze in den Hals und rammte sie ihm bis hinunter durch die Brust. Die Menge wich zurück, als der Spieß ihn durchbohrt hatte. Vom Ende des Pfahls flatterte die Hälfte eines entzweigerissenen Banners. »Tod den …« Die hölzerne Spiere hatte das Herz des Murgatroyd verfehlt. Sie hatte ihn verletzen, aber nicht töten können. Er ergriff den Pfahl mit beiden Händen und zog ihn sich knurrend und blutspeiend aus dem Leib.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erblickte Beauregard den St.-James-Palast. Die Leute klammerten sich an die Geländer, stiegen immer höher hinauf, um besser sehen zu können. Dravot saß rittlings auf der Balustrade. Er vermittelte einen überaus entschlossenen Eindruck. Jemand schnappte nach seinem Bein, doch er stieß ihn von der Brüstung.
    Der verwundete Murgatroyd lief kreischend wie eine Todesfee kreuz und quer durch die Menge und warf die Leute zu Boden, als seien sie nichts weiter als Kleiderpuppen eines Damenschneiders. Beauregard war dankbar, dass er dem Laffen nicht im Wege stand. Jago schrie indessen, heulte von Gier erfüllt nach Blut. Er klang viel mehr wie ein Vampir als all die Wesen, welche er verdammte. Der Prediger reckte den Arm, erhob die Faust gegen den St.-James-Palast und die kreidebleichen Kreaturen hinter den Geländern. Trotz des Lärms hörte Beauregard plötzlich das unverwechselbare Krachen einer Feuerwaffe. Eine blutrote Nelke explodierte an Jagos Revers. Er stürzte von seinem Wagen, und die Menge fing ihn auf.
    Jemand hatte auf Jago geschossen. Als er abermals nach dem Geländer hinüberblickte, sah Beauregard, dass Dravot sich davongemacht hatte. Jago war blutüberströmt. Seine Anhänger pressten Lumpen gegen die Wunden in seiner Brust und an seinem
Rücken. Die Kugel war offensichtlich glatt durch ihn hindurchgegangen, ohne größeren Schaden anzurichten.
    »Meine Stimme werdet ihr nicht zum Schweigen bringen«, brüllte Jago. »Meine Sache werdet ihr nicht vom Erdboden tilgen.«
    Dann stürzte die Menge in den Park und zerstreute sich, verlief sich wie ausgegossene Flüssigkeit nach Horse Guards Parade und Birdcage Walk. Beauregard konnte wieder atmen. Es wurde in die Luft geschossen. Überall waren Raufereien im Gange. Die Sonne sank.
    Er begriff nicht, was er soeben mit angesehen hatte. Zwar glaubte er, Dravot habe auf Jago geschossen, konnte es jedoch nicht mit Bestimmtheit sagen. Wenn der Sergeant dem Kreuzfahrer hätte den Garaus machen wollen, wäre John Jago jetzt vermutlich tot, wäre Hirn und nicht nur Blut vergossen worden. Der Diogenes-Club beschäftigte gewiss keine tollpatschigen, mit Blindheit geschlagenen Pistolenschützen.
    Der Vampire wurden mehr. Die Murgatroyds waren geflohen, und an ihrer statt betraten nun böse dreinblickende Neugeborene in Polizeiuniformen die Bühne. Ein karpatischer Constable ritt mit einem großen schwarzen Pferd eine Attacke quer durch die Menge und schwang seinen blutigen Säbel. Eine warmblütige Frau, in deren Schulter eine Wunde klaffte, lief mit gesenktem Kopf vorüber, einen Säugling an die Brust geschmiegt. Die Kreuzfahrer hatten ihre kurzzeitige Überlegenheit eingebüßt; nicht mehr lange, und sie wären in die Flucht geschlagen.
    Beauregard hatte Jago und Dravot aus den Augen verloren. Ein Pferd raste vorbei und streckte ihn zu Boden. Als er sich wieder hochgerappelt hatte, fand er seine Uhr zertreten. Das tat nun auch nichts mehr. Der Nachmittag war vorüber, und Penelope würde nicht länger warten.
    »Tod den Toten!«, schrie jemand.

33
    Der dunkle Kuss
    A ls die Straßen schließlich geräumt waren, lagen erstaunlich wenige Verletzte umher. Im Vergleich zum Blutsonntag war es ein unbedeutendes Scharmützel gewesen. Godalming, der im Gefolge von Sir Charles dahinschlich, wäre nie und nimmer auf den Gedanken gekommen, dass sich im St.-James-Park ein Aufruhr ereignet hatte. Bei ihnen befand sich Inspektor Mackenzie, ein mürrischer Schotte, der eifrig bemüht schien, dem Commissioner nicht in die Quere zu geraten. In jener ereignisreichen Stunde nach Einbruch der Nacht war ihnen Sir Charles wie ausgewechselt vorgekommen. Der

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