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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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was in jenem vertrauten Augenblick mit ihm vor sich gegangen war. Er konzentrierte sich auf die Tatsachen des Falles, behandelte ausführlich die Einzelheiten, die in der Presse Verbreitung gefunden hatten, und ergänzte diese durch eigene Anmerkungen und Eindrücke. Er sprach von Dr. Jekyll und Dr. Moreau, von Inspektor Lestrade und Inspektor Abberline, von Toynbee Hall und den Ten Bells, von der Polizeiwache Commercial Street und dem Café de Paris, von Silber und silbernen Messern, von Geneviève Dieudonné und Kate Reed. Mycroft lauschte aufmerksam seinen Ausführungen, nickte bedächtig, schürzte die fleischigen Lippen und stützte mit spitzen Fingern sein wabbeliges Kinn. Als Beauregard mit seinem Bericht zu Ende war, dankte ihm Mycroft und zeigte sich durchaus zufrieden mit dem Fortgang der Angelegenheit.
    »Seit den Briefen ist der Mörder also unter dem Beinamen ›Jack the Ripper‹ bekannt?«, fragte der Vorsitzende.
    »In der Tat. Mit ›Silver Knife‹ ist es vorbei. Wer auch immer diesen Namen ersonnen haben mag, verfügt über ein beachtliches Maß an Genius. Man stimmt darin überein, dass es sich um einen Journalisten handeln müsse. Diese Burschen sind geschickt, was derlei einprägsame Phrasen anbetrifft. Die guten wenigstens.«
    »Exzellent.«
    Beauregard war verwirrt. Soweit er sehen konnte, hatte er nicht das Geringste erreicht. Der Ripper hatte erneut gemordet. Zweimal, ungestraft. Seine Gegenwart hatte den Wahnsinnigen nicht im mindesten geschreckt, und die Bande, die er in Whitechapel knüpfte, hatten wenig mit den Ermittlungen zu schaffen.
    »Sie müssen diesen Mann fassen«, sagte Messervy; es waren seine ersten Worte, seit Beauregard die Sternkammer betreten hatte.
    »Beauregard genießt unser vollstes Vertrauen«, entgegnete Mycroft dem Admiral.

    Ächzend sank Messervy in seinen Lehnstuhl zurück. Er rang mit einer Pillenschachtel und warf sich etwas in den Mund. Beauregard vermutete, dass der ehemalige Vorsitzende eine Unpässlichkeit erlitten hatte.
    »Und nun«, sagte Beauregard mit einem Blick auf seine Savonnette, »möchte ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Ich muss in einer persönlichen Angelegenheit zurück nach Chelsea …«
    Im Hause ihrer Mutter in der Caversham Street erwartete Penelope ihn bereits, erfüllt von kalter Wut. Sie wünschte eine Erklärung. Lieber hätte Beauregard sich ein zweites Mal dem chinesischen Ältesten gestellt, wenn nicht gar Jack the Ripper höchstpersönlich. Doch war er seiner Verlobten gegenüber eine ebenso feierliche Verpflichtung eingegangen wie gegenüber der Krone. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wohin ihre Unterredung führen mochte.
    Mycroft hob eine Augenbraue, als sei er überrascht, dass persönliche Angelegenheiten von solcher Bedeutung waren. Nicht zum ersten Mal fragte sich Beauregard, von welchem Schlag die Männer waren, die dem Diogenes-Club vorsaßen.
    »Nun denn. Guten Tag, Beauregard.«
    Sergeant Dravot befand sich nicht auf seinem Posten vor der Tür der Sternkammer. An seinem Platz stand ein warmblütiges Raubein mit wettergegerbtem Gesicht und den schwieligen Fingerknöcheln eines altmodischen Faustkämpfers. Beauregard stieg ins Foyer hinab und verließ den Diogenes-Club. Er trat auf die Mall hinaus und fand den Nachmittag kühl und bedeckt. Erneut zog dichter Nebel herauf.
    Es sollte ihm keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten, eine Droschke ausfindig zu machen, die ihn nach Chelsea bringen würde. Als er sich umblickte, bemerkte er, dass die Straßen voller Leute waren. Er hörte dumpfe, regelmäßige Schläge. Eine Marschtrommel. Dann setzten die Bläser ein. Eine Kapelle kam
die Regent Street herunter. Er wusste von keiner ordentlich angekündigten Parade. Bis zum Lord Mayor’s Day war es noch fast ein Monat. Verärgert wurde ihm bewusst, dass die Kapelle es nicht eben leichter machen würde, einen Hansom zu bekommen. Der Verkehr würde eine Zeit lang unterbrochen sein. Penelope hatte dafür gewiss kein Verständnis.
    Die Kapelle kam um die Ecke und marschierte die Pall Mall hinab zur Marlborough Street. Vermutlich zogen sie kreuz und quer durch die Straßen, um Gefolgsleute zu gewinnen und sich schließlich im St.-James-Park zu versammeln. Der uniformierte Kapellmeister an der Spitze der Parade trug ein riesiges St.-Georgs-Kreuz, die Standarte der Kreuzfahrer Christi. Das schmale rote Kreuz auf weißem Grund bauschte sich im Wind.
    Nach der Kapelle kam ein Chor, zumeist Frauen in mittleren Jahren. Sie

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