Die Vampire
alle trugen lange weiße, mit einem roten Kreuz bestickte Gewänder. Sie sangen erst einen neuen Text zur Melodie von »John Brown’s Body« und gingen schließlich über zur »Schlachthymne der Republik«.
»In weißer Lilien Glanz ward Christ geboren überm Meer,
Vom Herrgott auserkoren, das Herz voll Stolz und Ehr’;
Weil ER starb für unsere Sünden,
kämpfen wir in der Freiheit Heer,
Und Gott geht uns voran …«
Die Menschenmassen kamen nun von überall herbeigeströmt. Die meisten der Zuschauer und sämtliche Marschierer waren Warmblüter, doch, von der Düsterkeit des Spätnachmittags herausgelockt, standen ein paar spöttelnde Murgatroyds auf dem Trottoir, flatterten mit ihren Fledermausumhängen und fauchten hinter rot geschminkten Lippen. Sie waren in der Minderzahl und wurden von niemandem beachtet. Beauregard hielt ihr
Hohnlachen für unklug. Potenzielle Unsterblichkeit bedeutete nicht auch Unbesiegbarkeit.
Dem Chor folgte ein offener, sechsspänniger Wagen. In dessen Mitte, auf einem Podest, stand, umringt von ihm zutiefst ergebenen Anhängern, John Jago. Nach ihm kam ein regelrechter Pöbelhaufen mit Bannern, die heilige Sprüche zierten wie: »Du sollst keinem Vampir sein Leben lassen«, oder: »Heiliges Blut, heiliger Kreuzzug«. Inmitten der Marschierer plagten sich zwei kräftige Kreuzfahrer mit einem zwanzig Fuß langen Pfahl, auf den eine Puppe aus Pappmaschee gespießt war, ein neugeborener Guy Fawkes. Der Pfahl durchbohrte seine Brust, an der rings um die Wunde rote Farbe klebte. Er hatte rote Augen, übergroße Fangzähne und war in schwarze Lumpen gekleidet.
Die Murgatroyds verstummten. Beauregard wusste sofort, dass es zu einem Unglück kommen würde. Mit Ausnahme zweier berittener Polizisten war auf der Straße weit und breit kein Vertreter des Gesetzes zu entdecken. Eine Flut von Warmblütern erbrach sich auf die Straße. Ehe sich’s Beauregard versah, wurde er von den Marschierern fortgerissen. Jago predigte wie üblich Hass und Höllenfeuer, und Beauregard wurde neben seinem Wagen hergestoßen. Sie trieben die Marlborough Street hinab zum Park. Auf offenem Gelände konnte er den Kreuzfahrern vielleicht entkommen.
Einer der Murgatroyds, ein blasser Adonis mit schwarzen Bändern im goldenen Haar, klaubte eine Handvoll Pferdemist aus der Gosse und warf sie mit beachtlicher Zielgenauigkeit, die einige Erfahrung als Ballmann beim Kricketspiel erkennen ließ, nach dem Prediger. Der Rossapfel zerplatzte in seinem Gesicht und färbte ihn braun wie einen Fakir. Einen Augenblick lang, zwischen zwei Tönen der Marschhymne, erstarrte die Menge wie auf einer Fotografie. Beauregard sah den Zorn in Jagos Augen lodern und eine Mischung aus Triumph und heraufdämmernder Furcht im Blick des Murgatroyd.
Mit einem Schrei, so laut wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts, stürzten sich die Marschierer auf die Murgatroyds, eine Gruppe von vier oder fünf Neugeborenen. Geckenhaft in ihrer Kleidung, weibisch in ihren Bewegungen, kaltherzige Poseure von haltloser Lasterhaftigkeit: Sie vereinten all jene Makel in sich, die man dem Vampir gemeinhin zuschrieb. Beauregard verspürte einen dumpfen Schlag im Rücken, als weitere Protestierer sich nach vorn hindurch zu dem Getümmel drängten. Jago fuhr unbeirrt in seiner Predigt fort und befeuerte den Zorn der Gerechten.
Die Straße war voller Blut. Als man ihn auf die Knie stieß, wusste Beauregard mit einem Mal, dass er totgetrampelt werden würde, wenn er jetzt zu Boden schlüge. Hatte er so vielen Gefahren in so vielen Winkeln dieser Welt etwa nur widerstanden, um am Ende dem anonymen Londoner Pöbel zum Opfer zu fallen …?
Eine starke Hand schloss sich um seinen Arm und hievte ihn wieder auf die Beine. Sein Retter war Dravot, der Vampir aus dem Diogenes-Club. Er sprach kein Wort.
»Da ist einer«, rief ein rothaariger Mann. Dravots Hand schnellte hervor und schlug dem Mann die Zähne ein, schleuderte ihn ins Gedränge zurück. Als er ausholte, klaffte Dravots Jacke auf. Beauregard erblickte eine Pistole, die in einem Halfter unter der Achselgrube stak.
Er wollte dem Sergeant danken. Doch seine Stimme verlor sich im Geschrei. Und Dravot war verschwunden. Ein Ellbogen traf ihn am Kinn. Er kämpfte gegen die Versuchung an, den Streich mit einem Stockhieb zu vergelten. Er musste um jeden Preis ruhig Blut bewahren. Es durfte nicht noch mehr Verletzte geben.
Die Menge teilte sich, und eine lärmende Gestalt mit Blut im Haar und im Gesicht
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