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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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wäre er wahrscheinlich gegen die Juden, die Fenier oder die Gelben Heiden zu Felde gezogen. Nun waren es die Vampire.
    »Feuer und Pfahl«, kreischte Jago. »Sündhafte Blutsauger, Ausgestoßene der Hölle, blutgeblähter Unflat. Sie alle müssen umkommen durch das Feuer und den Pfahl. Sie alle müssen geläutert werden.«
    Der Prediger ließ einige Männer mit Mützen herumgehen und
Spenden sammeln. Ihr gemeingefährlicher Anblick genügte, den geringen Unterschied zwischen Erpressung und Kollekte vergessen zu machen.
    »Es fehlt ihm nicht an ein paar Pennies«, bemerkte Thick.
    »Genug, sein Brotmesser versilbern zu lassen?«
    Daran hatte Thick auch schon gedacht. »Fünf Kreuzfahrer Christi behaupten, er habe sich die Seele aus dem Leib gepredigt, just als Polly Nichols ausgeweidet wurde. Dasselbe gilt für Annie Chapman. Und für die von letzter Nacht, darauf wette ich jede Summe.«
    »Sonderbare Tageszeit für eine Predigt, meinen Sie nicht?«
    »Zwischen zwei und drei Uhr morgens beim ersten und zwischen fünf und sechs beim zweiten Mord«, pflichtete Thick bei. »Beinahe ein wenig zu perfekt und unangreifbar, nicht wahr? Aber heutzutage wird man ja unweigerlich zum Nachtvogel.«
    »Sie sind wahrscheinlich des Öfteren die ganze Nacht lang auf den Beinen. Würden Sie sich um fünf Uhr morgens Gott und Gloria anhören wollen?«
    »Heißt es nicht, so kurz vor Sonnenaufgang sei die Nacht am finstersten?« Schnaubend setzte Thick hinzu: »Im Übrigen würde ich mir John Jago zu keiner Tages- oder Nachtzeit anhören wollen. Schon gar nicht sonntags.«
    Thick trat hinaus und mischte sich unter die Menge, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Ungewiss, was nun zu tun sei, fragte sich Geneviève, ob sie nach Toynbee Hall zurückkehren sollte. Der diensthabende Sergeant sah auf seine Uhr und gab Befehl, die Stammgäste der Wache hinauszuwerfen. Ein paar zerlumpte Männer und Frauen wurden aus ihren Zellen geholt, kaum nüchterner als zu dem Zeitpunkt, da man sie verhaftet hatte. Sie stellten sich in einer Reihe auf, um von Amts wegen auf freien Fuß gesetzt zu werden. Die meisten waren Geneviève bekannt: Für viele unter ihnen - Warmblüter wie
Vampire - war die Nacht ein einziges Hin und Her zwischen der Ausnüchterungszelle, dem Krankenasyl des Armenhauses und Toynbee Hall, eine fortwährende Suche nach einem Bett und einer freien Mahlzeit.
    »Miss Dee«, sagte eine Frau. »Miss Dee …«
    Da manch einer seine Mühe hatte, »Dieudonné« richtig auszusprechen, beließ sie es nicht selten bei ihrem Initial. Wie so viele Bewohner Whitechapels hatte sie mehr Namen als gemeinhin üblich.
    »Cathy«, erwiderte sie den Gruß der Neugeborenen, »wirst du gut behandelt?«
    »Bestens, Miss, bestens«, sagte sie und bedachte den Diensthabenden mit einem törichten Grinsen, »is wie’n zweites Zuhause hier.«
    Cathy Eddowes sah als Vampir wenig besser aus als zu Lebzeiten. Der Gin und die Nächte auf der Straße waren ihr deutlich anzusehen; der rötliche Glanz ihrer Augen, ihres Haars vermochte die fleckige Haut unter der dicken Puderschicht nicht wettzumachen. Wie so viele ihres Gewerbes bot Cathy ihren Körper feil, um den roten Durst zu stillen. Das Blut ihrer Kunden enthielt wahrscheinlich ebenso viel Alkohol wie der Gin, der sie zu Lebzeiten in den Ruin getrieben hatte. Die Neugeborene richtete ihr Haar, zupfte ein purpurrotes Band zurecht, das ihre dichten Locken im Nacken zusammenhielt. An ihrem Handrücken befand sich eine nässende Wunde.
    »Lass mich das anschauen, Cathy.«
    Geneviève erblickte derlei nicht zum ersten Mal. Neugeborene mussten überaus vorsichtig sein. Zwar waren sie kräftiger als Warmblüter, doch zu viel dessen, wovon sie sich nährten, war verdorben. Es bestand zu jeder Zeit die Gefahr einer Krankheit; der dunkle Kuss des Prinzgemahls hatte, auch nach vielen Generationen noch, eine seltsame Wirkung auf Krankheiten, die ein
Mensch aus seinem warmblütigen Leben in sein Dasein als Untoter hinüberschleppte.
    »Hast du noch mehr solcher Wunden?«
    Cathy schüttelte den Kopf, doch Geneviève wusste, dass sie log. Eine klare Flüssigkeit tränte aus der offenen roten Stelle an ihrem Handrücken. Feuchte Flecke auf ihrem Mieder ließen weitere Schwären erahnen. Sie hatte sich den Schal so umgelegt, dass er Hals und décolletage bedeckte. Als Geneviève den Wollfetzen beiseiteschob, kamen mehrere nass glänzende Wunden zum Vorschein, aus denen übelriechender Eiter quoll. Cathy

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