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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Gesellschaftsbälle. Deutsche Eisenbahngleise schlängelten sich quer über den Kontinent, wodurch eine rasche Mobilmachung ermöglicht wurde. Während Britanniens Dreadnoughts die Meereswellen regierten, beherrschten Willis U-Boote die Tiefen. Als der geniale englische Ingenieur Heath Robinson sich an die Entwicklung von Luftfahrzeugen machte, versicherte sich Dracula der Dienste des Holländers Anthony Fokker, der immer neue Bomber und Jagdflugzeuge konstruierte.
    Der Vampirismus verbreitete sich über das gesamte Territorium der Mittelmächte. Älteste wagten sich nach Jahrhunderten des unwürdigen Nomadisierens in die Öffentlichkeit zurück und lebten auf Besitzungen in Deutschland und Österreich-Ungarn. In Britannien hatte sich der Vampirismus bislang ungehemmt ausbreiten können, doch nun bestand Dracula darauf, die Verwandlung Neugeborener zu regulieren. Ein Gesetz schloss bestimmte Klassen und Rassen von Männern und Frauen von der Verwandlung aus. Wilhelm machte sich darüber lustig, dass Britannien und Frankreich Dichter und Ballerinen in den Stand der Unsterblichkeit erhoben; unter seiner Herrschaft war dieses Vorrecht jenen vorbehalten, die bereit waren, für ihr Vaterland zu kämpfen und ihre menschliche Beute selbst zu reißen.
    Nachdem er eine ganze Reihe militärischer und politischer Stellungen bekleidet hatte, übernahm Dracula im Jahre 1914 den Posten des Kanzlers und Oberbefehlshabers der Streitkräfte des Deutschen Reiches. Beauregard fragte sich, wie der frühere Vlad Tepes Bündnisse unterstützen konnte, die ihn gegen Rumänien - das Land, für das er einst in den Kampf gezogen war - und an die Seite der Türkei stellten, des Imperiums, dem er um den Preis seines warmen Blutes widerstanden hatte.

    Vor dem Kabinett wurde Beauregard von Mansfield Smith-Cumming in Empfang genommen, dem monokeltragenden Meisterspion, der wie er der herrschenden Clique angehörte. Gerüchten zufolge hatte sich der Vampir mit einem Federmesser ein Bein amputiert, um sich aus den Trümmern eines Autounfalls befreien und seinen Mantel über seinen sterbenden Sohn breiten zu können, der sich über die Kälte beklagte. Sein Bein war bis zum Kniegelenk nachgewachsen; unter einem dicken Bündel von Verbänden bildete sich ein neuer Fuß.
    »Beauregard«, sagte Smith-Cumming breit grinsend, »was halten Sie von der Verkleidung?«
    Smith-Cumming freute sich wie ein kleines Kind, dass sein Beruf es ihm erlaubte, sich zu verkleiden. Er trug einen übergroßen, offenkundig falschen Bart. Er verdrehte die Augen und ließ seinen Rosshaarschnauzer tanzen wie ein Komödiant der Fred-Karno-Truppe.
    »Sehe ich nicht aus wie ein leibhaftiger Hunne? Können Sie sich vorstellen, wie ich einer belgischen Nonne an die Gurgel gehe?«
    Er entblößte riesige falsche Hauer, dann spuckte er sie aus, und darunter kamen seine zierlichen Fangzähne zum Vorschein.
    »Wo ist Mycroft?«, fragte Beauregard.
    Smith-Cumming blickte so ernst drein, wie es ihm in seiner Verkleidung möglich war. »Böse Neuigkeiten, fürchte ich. Ein neuerlicher Anfall.«
    Mycroft Holmes hatte der herrschenden Clique des Diogenes-Clubs schon angehört, als Beauregard Mitglied geworden war. Seine Pläne hatten die Nation während der Zeit des Schreckens zusammengehalten. Seither hatte er alles darangesetzt, den neuen König und seinen ewigen Premierminister Ruthven in ihrer wunderlichen Schwärmerei zu mäßigen.
    »Wir stehen unter Druck. Ich nehme an, Sie haben von Spenser gehört.«

    Smith-Cumming nickte angewidert.
    »Ich habe ihn durch Winthrop ersetzt. Er kommt zügig voran. Ich bin äußerst zuversichtlich, dass er rasch aufholen wird.«
    »Gräuliche Nächte, Beauregard«, meinte Smith-Cumming.
    Alles hatte am Sonntag, dem 28. Juni 1914, in Sarajewo begonnen, fern der Grenzen, wo die Mächte Europas sich ankläfften wie durch einen Zaun getrennte Hunde.
    Erzherzog Franz Ferdinand, der Neffe von Kaiser Franz Joseph, reiste mit seiner morganatischen Gemahlin Sophie Fürstin Hohenberg durch Bosnien. Seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Jahre 1877 auf sich selbst gestellt, war Bosnien schwerlich als das reizvollste Fleckchen Europas zu bezeichnen, dennoch betrachtete Österreich-Ungarn es als natürliche Ergänzung seines ohnehin aufgeblähten und unregierbaren Herrschaftsgebietes. Franz Joseph hatte die Provinz im Jahre 1908 auf geradezu betrügerische Art und Weise annektiert. Das nicht ganz zu Unrecht als Werkzeug Russlands verschriene Serbien

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