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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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führte ebenfalls etwas gegen Bosnien und seine Schwesterprovinz, die Herzegowina, im Schilde.
    Der Erzherzog war ein nosferatu, eine Provokation. Die Slawen und Muselmanen duldeten keine Vampire, schon gar nicht als Herrscher. Serbische Irredentisten machten die zahlenmäßige Überlegenheit der Untoten am kaiserlichen Hofe mit Trompetenschall bekannt, um jene aufzurühren, die Bosnien-Herzegowina von blutsaugenden Habsburgern befreien wollten. Um den schönen Schein zu wahren, entsandten die untoten Berater des Zaren (ausnahmsweise ohne den fanatischen Warmblüter Rasputin) Agenten nach Sarajewo, um fackelschwingende Rotten von christlich-orthodoxen Vampirgegnern, serbischen Nationalisten und Kaffeehaus-Revoluzzern aufzuwiegeln. Pamphlete mit obszönen Darstellungen der ehelichen Beziehungen zwischen dem Erzherzog und seiner augenscheinlich warmblütigen
Sophie, einer als Blutmilchkuh karikierten Tschechin, gerieten in Umlauf.
    Die Mittelmächte hegten die felsenfeste Überzeugung, Zar Nikolaus höchstselbst habe einen jüngeren Van Helsing namens Gavrilo Princip beauftragt, Franz Ferdinand mit Kugeln zu durchsieben, das Vampirherz der Habsburger mit Silber zu spicken und bei dieser Gelegenheit auch gleich die schorfhalsige Sophie zu ermorden. Zudem sollten alle Anhänger der Sache der Verbündeten Princip für einen Irren halten, der unabhängig von den Großmächten gehandelt hatte, wenn nicht gar für einen Agenten des kriegslüsternen Kaisers.
    Beauregard hatte Mycroft einmal gefragt, ob Russland seine Finger im Spiel habe. Der große alte Mann räumte ein, dass dies niemand so recht sagen könne. Einerseits versorge die Ochrana Princips Gesinnungsgenossen zweifellos mit barem Geld (und wahrscheinlich auch mit Silberkugeln); andererseits wisse nicht einmal Artamanov, der Finanzattaché der Russen, ob der mysteriöse Attentäter zu seinen Kontakten zählte.
    Der Kaiser witterte eine Chance, die Grenzen Europas neu zu ziehen, und drängte den asketischen Bürokraten Franz Ferdinand dazu, ein Communiqué an Serbien zu richten, das einer Kriegserklärung gleichkam. Russland war gezwungen, Serbien gegen Österreich-Ungarn zu verteidigen; Deutschland musste Kaiser Franz Joseph im Krieg gegen die Russen unterstützen; Frankreich war vertraglich gehalten, jegliche Nation zu attackieren, die sich mit den Romanows anlegte; Deutschland musste erst durch Belgien marschieren, um zum Schlag gegen Frankreich ausholen zu können; und Großbritannien hatte sich verpflichtet, die Neutralität Belgiens zu bewahren. Nachdem Princips Silberkugel den Erzherzog durchbohrte, fiel das Kartenhaus in sich zusammen.
    In jenem Sommer hatte Beauregard, der seinem fünfundsechzigsten Lebensjahr entgegensah, mit dem Gedanken gespielt, in
den Ruhestand zu treten. Als jedoch eine Allianz nach der anderen eingefordert wurde, als ein Land nach dem anderen mobilmachte, erkannte er, dass er seinen Posten unmöglich verlassen konnte. Widerstrebend sah er ein, dass es zum Krieg kommen würde.
    Im Jahre 1918 war die Frage, wer Bosnien beherrschte, nebensächlich. Die Romanows blickten dem Tod durch Holzpflock und Sichel ins Auge. Franz Joseph hatte den Verstand verloren, und sein Reich wurde von einem zänkischen Pöbelhaufen österreichischer und magyarischer Ältester regiert. Der Kaiser hatte die Kriegsführung längst Graf von Dracula und seinen neugeborenen Adepten Hindenburg und Ludendorff überlassen.
    Die Tür des Kabinetts ging auf, und die beiden treuen Mitglieder der herrschenden Clique wurden zu dem Ältesten geführt, der Großbritannien unter dem Banner König Victors regierte.
    »Gentlemen«, sagte Lord Ruthven, »kommen Sie herein und nehmen Sie Platz.«
    Der Premierminister war von Kopf bis Fuß in Taubengrau gekleidet, von Schlafrock und Gamaschen bis hin zu gekräuselter Halsbinde und elegant geschwungenem Zylinder. Er saß an seinem nackten Schreibtisch, neckisch unter einem seiner unzähligen Porträts posierend, einer martialischen Studie Elizabeth Asquiths. Das mittelmäßige Gemälde würde es vermutlich zu einiger Berühmtheit bringen, da der Vater der Künstlerin in Ruthvens Regierung der nationalen Einheit den Posten des Innenministers bekleidete.
    Andere saßen in tiefen Lehnsesseln im Raum verstreut. Lord Asquith studierte mit säuerlicher Miene Frontberichte. Field Marshal Sir Douglas Haig weilte in Frankreich, doch General Sir William Robertson und General Sir Henry Williams vom Generalstab Seiner Majestät waren

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