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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Klauen zur Faust und bohrte die Fingernägel ins weiche Fleisch des Daumenballens. Es war nicht leicht, sich durch die Erde zu boxen. Sie konnte nicht zum Schlag ausholen. Ihr ganzer Arm tat weh. Ihre verletzte Schulter sprang aus dem Gelenk. Sie musste die Lippen fest zusammenpressen, um einen Schmerzensschrei zu unterdrücken.
    Ihr Erdsarg bekam einen Riss, so dass sie den Arm bewegen konnte. Sie streckte die Hand aus und krallte die Finger in den Dreck. Ihre Klauen stießen gegen einen Toten, und sie packte einen Arm des Leichnams, zog aus Leibeskräften daran und versuchte ihren Körper hochzustemmen. Die Schmerzen waren schier unerträglich, doch das Ding auf ihrer Brust wollte sich nicht von der Stelle rühren.
    Wenn sie jetzt in Schlaf fiel, konnte sie Jahre, wenn nicht sogar Jahrhunderte bewusstlos überdauern. Vielleicht würde sie in einem
Utopia erwachen, in dem die Menschheit Kriege nicht mehr nötig hatte. Oder in einer Zukunft, in der Dracula als Autokrat über eine wüste Erde herrschte. Doch Schlafen hieß, sich vor der Verantwortung für die Gegenwart zu drücken.
    Ihre Faust brach durch die Oberfläche. Sie spürte kühle Luft und streckte die Finger.
    Der Gegenstand auf ihrer Brust war ein Balken oder ein schweres Trümmerteil des Krankenwagens. Aber was es auch war, es ließ sich nicht bewegen. Sie presste sich noch tiefer in die Erde, um sich losstrampeln und wie ein Wurm nach oben wühlen zu können.
    Ach, wenn ihr Vater das noch hätte erleben dürfen!
    Mit gekrümmten Schultern grub sie eine Mulde in den weichen Boden unter ihrem Rücken. Alles war klatschnass. Durch ihre Anstrengungen wurde aus fester Erde lockerer Schlamm.
    Plötzlich packte jemand ihren Arm. Sie ergriff die Männerhand und zog die Fingernägel ein, um ihren Retter nicht zu stechen. Sie versuchte, ihn sich vorzustellen. Ein höllischer Schmerz betäubte ihre Hand, als ihr eine Metallspitze - kein Silber - durch die Haut ins Fleisch getrieben wurde. Ihr Retter stieß ihr ein Bajonett in den Leib. Ein durstiger Mund schlürfte mit rauer Katzenzunge Blut aus ihrer Hand.
    Sie schnappte nach einem Gesicht, bekam einen Schnurrbart zu fassen, versuchte ihre Nägel in einen Schädel zu krallen. Der Mann, der ihr das Blut stahl, richtete sich auf, und sie wurde aus dem Dreck ans Licht gezerrt. Der schwere Gegenstand rutschte von ihrer Brust und stieß gegen ihre Hüfte. Dann steckte sie wieder fest. Ihre Schulter tat so weh, dass sie glaubte, er wolle ihr den Arm ausreißen. Schließlich lag auch ihr Gesicht frei, und sie schrie.
    Ihre dreckverschmierte Brille war wie durch ein Wunder heil geblieben, und es dämmerte bereits. Trotzdem schien das Licht
entsetzlich grell. Ihre Augen brannten. Und in ihren Ohren gellte ungeheurer Lärm.
    Den Leichenfledderer fest umklammernd, stand sie auf und schüttelte sich, um ihre Kleider von Erdklumpen zu befreien. Schlamm und Stoff bildeten eine dicke, kalte Lehmschicht.
    Sie ließ ihren Gefangenen los. Ihre Hand war knorrig und geschwollen, pralles Fleisch über wuchernden Knochen. Ihre Finger hatten sich zu sechs Zoll langen Ruten mit drei Zoll langen Klingen ausgewachsen. Bei dem Gedanken daran schrumpfte die Hand wieder zusammen. Die bittere Not hatte ungeahnte gestaltwandlerische Fähigkeiten zum Vorschein kommen lassen.
    Hätte der neugeborene Soldat eine deutsche Uniform getragen, so hätte sie ihn auf der Stelle umgebracht und sein Herz verspeist. Doch es war nur ein verwirrter Tommy, der aus einem Dutzend Wunden blutete und mit ihrem Saft besudelt war. Der Soldat wich zurück, stürzte davon und ließ Kate allein auf einem Schlammhügel zurück. Sie war noch immer aufgebracht und kämpfte mit dem roten Durst, den das Blutbad geweckt hatte.
    Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Licht, und sie erkannte Teile ihres Krankenwagens und die einstige Befestigung des Grabens. Alles war mit Leichenteilen übersät. Vermutlich befanden sich auch Tietjens und Bartlett unter den Toten. Der Schützengraben war nicht mehr. Die Wucht der Explosionen hatte ihn zum Einsturz gebracht. Sie stand ungeschützt zu ebener Erde und sah die Abzugsgräben nahe gelegener Stellungen. Ein Großteil des Systems war noch intakt. Es wimmelte von Männern, die in die Quartiere oder an die Front einrückten.
    Ein Granatsplitter steckte in ihrer Schulter, und sie zog ihn heraus. Sofort ließen die Schmerzen nach.
    Ringsum schlugen Bomben ein. Da ihr der Schreck noch immer in den Gliedern saß, konnten die Explosionen

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