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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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sie nicht weiter erschüttern. Sie drehte sich um und nahm die Front in Augenschein.
Zwar gab sie eine perfekte Zielscheibe ab, dafür aber hatte sie einen bemerkenswerten Blick. Von ihrem Hügel aus sah sie die von hektischer Betriebsamkeit erfüllten Schützengräben der Alliierten, das Drahtgewirr im Niemandsland und das Mündungsfeuer der deutschen Geschütze. Selbst die Befestigungsanlagen der feindlichen Stellungen waren deutlich zu erkennen. Schaurige Musik - Wagner? - rieselte vom Himmel. Stählerne Ungeheuer krochen durch das Niemandsland. Darüber schwebte ein Leviathan der Lüfte.
     
    Stalhein war erneut als Beobachter abkommandiert. Diesmal wurde er, in menschlicher Gestalt, zum Dienst an Bord der Attila bestellt.
    Die gepanzerte Gondel war ein Kommandeurskonklave, ein Kabinett der hohen Tiere, die ihre Untergebenen zu einer wahren Grußorgie animierten. Der Kapitän des Zeppelins war Peter Strasser, ein fanatischer Anhänger der Schwerer-als-Luft-Luftfahrt, der zu Beginn des Krieges Bombenangriffe auf London geflogen hatte. Über Strasser stand Ingenieur Robur, der Leiter der Marine-Luftschiffer-Abteilung und große Architekt und Propagandist dieser Maschinen. Und über ihnen allen stand Graf von Dracula, der, ein Stück abseits von seinen schwarzledernen Gardisten, in der Führergondel wachte und die Schlammschlacht durch die Sichtluken verfolgte. Zum Glück war für Graf von Zeppelin, Feldmarschall Hindenburg und den Kaiser kein Platz mehr gewesen. Ihre Orden wogen so schwer, dass die Attila Mühe gehabt hätte, Einsatzflughöhe zu erreichen.
    Mit Ausnahme von Stalhein und Dracula hatten alle Mann an Bord fest umrissene Aufgabenbereiche. Stalhein, der die Eiseskälte in seiner menschlichen Gestalt am ganzen Körper spürte, hatte das Gefühl, zurückgehalten zu werden. Das JG1 würde schon bald zum Einsatz kommen.

    Strasser saß in seinem Sessel und bellte Befehle in ein Sprachrohr. Seine tüchtige Mannschaft hastete wie eine Horde uniformierter Affen durch das verwirrende Durcheinander von Hebeln und Verstrebungen.
    Ein langer Schatten fiel auf das in Dämmerrot getauchte Land.
    Wie es sich für ein so großes und erhabenes Schiff geziemte, war die Attila mit einer Orgel ausgestattet. Robur saß am Manual und suchte sich Melodien aus Lohengrin zusammen. Die Musik wurde durch am Schiffsrumpf befestigte Schalltrichter verstärkt.
    Mit ungewohnter Zurückhaltung näherte sich Stalhein der Sichtluke, einem kreisrunden, etwa drei Meter breiten, in den Boden der Gondel eingelassenen Fenster. Sie war das Auge der Attila. Der Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte wachte, die Pranken auf ein Messinggeländer gestützt, über den Verlauf der Schlacht. Im Kunstlicht wirkte sein trauriges Gesicht fahlgrau und leicht geschwollen. Stalhein hatte erwartet, Dracula, der unsterbliche Kriegsfürst, werde angesichts des Blutbades frohlocken.
    Er hatte erwartet, die Gegenwart des Grafen werde sein Blut in Wallung bringen. Dracula war Stalheins Fangvater. Sein durch die Älteste Faustina vererbtes Geblüt hatte ihn zum Gestaltwandler werden lassen. Er war einer der unzähligen Nachkommen des Grafen. Doch Stalhein bewahrte ruhiges Blut. Er fühlte sich auch nicht genötigt, vor seinem Herrn und Meister auf die Knie zu fallen. Er trat neben Dracula und blickte durch die Luke in die Tiefe.
    Die sinkende Sonne bot genügend Licht, um deutlich sehen zu können. Panzerverbände krochen durch den Schlamm, die erste Welle hatte die Schützengräben der Entente schon fast erreicht. In den tiefen Furchen, die ihre Ketten hinterließen, rückten Männer vor. Von hier oben wirkten die Soldaten wie Ameisen. Die Panzer sahen aus wie große Käfer, die sich mühsam einen Weg über winzige Hindernisse bahnten. Im ganzen Niemandsland explodierten Feuerbälle. Dies würde unzählige Menschenleben kosten.

    Die erste Panzerreihe spie Feuer, und mächtige Flammenstrahlen spritzten in die gegnerischen Gräben. Obgleich er gegen den Feuertod immun war, befiel Stalhein ein kalter Schauder. Dieser Krieg hatte findige Köpfe wie Robur dazu getrieben, Waffen zu entwickeln, mit denen man einen Vampir ebenso mühelos auslöschen konnte wie einen Warmblüter mit Pistole oder Schwert. Teile des gegnerischen Grabensystems wurden zu reißenden Feuerströmen, die neue Grenzen in die rußgeschwärzte Landkarte Europas brannten.
    Die Attila schwebte über feindlichem Gebiet, außer Reichweite der Flugabwehrkanonen. Alle noch intakten schweren

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