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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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lockerlässt.
    Ihm fiel sein versilberter Degen wieder ein. War er so protzig wie Bonds Walther gewesen? Wahrscheinlich.
    Nun, es war keine Frage des Abschweifens. Es war eher ein Auswerfen der Angel, ein Versuch, sich zu erinnern. Das fiel ihm immer schwerer, was ihn erboste. Die Wildpastete, die ihm 1888 bei Simpson’s auf dem Strand serviert worden war, stand ihm sofort vor Augen, lag ihm fast auf der trockenen Zunge. Aber was es gestern Abend zu essen gegeben hatte, daran vermochte er sich nicht zu erinnern.
    »Die Zentrale nimmt an, dass Sie ein Auge auf Dracula behalten haben«, sagte Bond. »Es widerspräche Ihrer Natur, lockerzulassen. Zumal wenn er so nahe ist.«
    »Die Zentrale?«
    Der Jargon belustigte Beauregard. Zu seiner Zeit waren die Bezeichnungen andere gewesen. Bevor er dazugehört hatte, waren sie einfach nur »die herrschende Clique« des Diogenes-Clubs genannt worden. Dann gingen ein paar Kricketspieler dazu über, sie »die Umkleide« zu nennen. Eine Zeit lang war es dann »der Zirkus«. Die Clique bestand aus ein bis fünf, normalerweise drei Personen. In den 1920ern und während des letzten Krieges, als er
von seinem ersten Versuch als Privatier zurückgeholt worden war, hatte er den Vorsitz gehabt. Nun saß der junge Winthrop auf diesem Platz - jung war gut, mit dreiundsechzig!
    »Bitte verzeihen Sie, Sir.«
    Er hatte sich zu viele Gedanken um seine Erinnerungen gemacht und war wieder aus der Gegenwart abgeschweift. Er musste sich konzentrieren. Er brachte das hier besser schnell hinter sich, wenn schon nicht um seiner selbst willen, dann für Geneviève. Wenn er sich überanstrengte, wurde sie böse.
    Sie sollte sich allmählich daran gewöhnt haben, dass er starb. Er redete lange genug davon.
    »Ja, Commander Bond«, antwortete er schließlich. »Ich bin immer noch interessiert. Das ist ein Knochen, den man nicht so leicht loslässt.«
    »Sie gelten als die Autorität schlechthin.«
    »Dem alten Trottel ein bisschen Honig um den Bart schmieren, hm?«
    »Ganz und gar nicht.«
    »Sie wollen etwas über ihn erfahren? Über Dracula?«
    Wenn er seine Memoiren veröffentlichen würde - ein Unternehmen, das ihm gesetzlich verboten war -, dann würde er sie Anni Draculae nennen, die Draculajahre. Der Verbannte im Palazzo Otranto war der bestimmende Einfluss seines überlangen Lebens. Was ihm am Sterben am wenigstens gefiel, war, dass er vor dem Grafen abtreten und nicht dabei sein würde, wenn dem König der Vampire ein Ende gemacht würde.
    »Dragulya«, wiederholte er und zog den Namen in die Länge, wie es Churchill immer tat. »Wie wäre dieses Jahrhundert verlaufen, wenn es ihn nicht gegeben hätte? Haben Sie Stokers Buch gelesen? Darüber, wie man ihn gleich am Anfang hätte aufhalten können?«
    »Ich habe nicht viel Zeit zum Lesen.«

    Weil er zu viel damit zu tun hatte, warmblütigen Weibern hinterherzulaufen und sich Ärger einzuhandeln, hätte Beauregard wetten können.
    »Das halte ich für einen Fehler, Commander Bond. Aber ich hatte ja vielleicht auch immer viel Zeit. Ich habe alles über Dracula gelesen, Dichtung und Wahrheit. Ich weiß mehr über ihn als sonst ein Mensch.«
    »Mit Verlaub, Sir, aber wir haben Leute in Draculas nächster Umgebung, die seit Jahrhunderten dort sind.«
    Eine der fixen Ideen Winthrops war es gewesen, Vampirälteste zu rekrutieren, die ihren principe bespitzelten. Also hatte Diogenes es endlich hinbekommen. Es gab Maulwürfe in der Karpatischen Garde.
    »Ich sagte Mensch.«
    Er lachte glucksend. Das bereitete ihm Schmerzen in der Brust. Sein Lachen ging in ein Husten über.
    Geneviève, die auf übernatürliche Weise jedes Pfeifen und jeden Krächzer mitbekam, teilte die Vorhänge und kam durch die Balkontür getreten. Sie war bildschön in ihrem ärmellosen cremefarbenen Polohemd, dem umgehängten Pullover und den violetten Torerohosen. Rote Flecken auf den kalkweißen Wangen zeugten von ihrem Zorn. Sie bedachte Bond mit einem frostigen Blick und kniete sich neben Beauregard, begluckte ihn wie eine französische Gouvernante. Sie zwang ihn dazu, die Tasse an den Mund zu heben und einen Schluck von dem Tee zu trinken, den er vergessen hatte.
    Wenig verlegen lehnte Bond an der Balkonbrüstung und ließ Rauch aus seinen Nasenlöchern wehen. In seinen harten Augen glitzerte mildes Sonnenlicht. Um für den Diogenes-Club zu arbeiten, hatte er gewiss lernen müssen, grausam zu sein. Vielleicht hatte er den Knoten schon immer in sich getragen, der nur darauf

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