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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Informationen anging, würde er auch selbst einiges erfahren. Sich für die Welt zu interessieren, hieß, noch ein Teil von ihr zu sein.
    Der Vampirspion stand auf dem Balkon und zündete sich mit einem Ronson-Feuerzeug eine Zigarette an. Die Flamme rötete
sein energisches Gesicht. Er atmete aus und sah auf Beauregard hinab. Sein gewitztes Lächeln enthüllte einen vorspringenden Fangzahn.
    »Mein Name ist Bond«, sagte er mit einem leichten schottischen Akzent, »Hamish Bond.«
    »Guten Morgen, Commander Bond«, sagte Beauregard. »Willkommen in der Ewigen Stadt.«
    Der Neugeborene warf einen flüchtigen Blick über den Parco di Traiano, betrachtete die Ruine von Neros Domus Aurea (eines von Roms zahlreichen Monumenten des Größenwahns) und den unregelmäßigen Rand des Amphitheatrum Flavium, des Kolosseums. Beauregard bemerkte mit Bedauern, dass Bond keinen Blick für die Gegend hatte. Die Pflicht sollte einen nicht blind für die Aussicht machen. Tatsächlich war es in ihrer beider Profession sogar Pflicht, aufmerksam zu sein.
    Obwohl er als Offizier der Marine unterwegs war, trug Bond keine Uniform, sondern war angezogen wie fürs Bakkaratspiel in Monte. Seine weiße Smokingjacke aus der Savile Row war perfekt geschnitten, lose genug, um dem aufmerksamen Beobachter die Möglichkeit eines Schulterholsters nahezulegen. Beauregard kannte diesen Mann genau, er wusste sogar, was im Holster steckte. Eine Walther PPK 7,65 mm Browning, getragen in einem Berns-Martin Triple-Draw, im Magazin acht bleiummantelte Silberkugeln. Fieses Stück.
    Die Brise spielte mit einer schwarzen Haarlocke Bonds, einem Komma auf seiner Stirn. Rauch trieb von seiner Zigarette weg, einer handgemachten Orientmischung mit drei goldenen Streifen. Zu auffällig für jemanden wie ihn, zu einprägsam. Diese spezialgefertigten Glimmstängel deuteten auf eine bestimmte Einstellung hin. Hier war ein Vampir, der wusste, wie man sich in eine Smokingjacke wand, ohne den Kragen zu verknicken, der Hemden aus Seal-Island-Baumwolle trug und eine Pistole so leicht
ziehen konnte wie sein Ronson-Feuerzeug aus der Innentasche. Man konnte meinen, er legte es darauf an, einen Eindruck zu hinterlassen, eine Pose für das Zielfernrohr einzunehmen.
    Charles Beauregard hoffte, dass er nie so gewesen war.
    Wenn irgendein Diener der Krone es verdiente, sich ins Privatleben zurückzuziehen, dann gewiss Beauregard. Nur war der Diogenes-Club - der britische Geheimdienst, wenn das nicht ein innerer Widerspruch war - keine Institution, von der man sich umkompliziert in den Ruhestand verabschieden konnte. So wurde man schon an der Vorstellung gehindert, dass seine Mitglieder ein Privatleben haben könnten. Er hatte dem Club gedient, den Großteil eines Jahrhunderts lang, und war dabei bis ins höchste Amt aufgestiegen.
    Beauregard sah hinaus ins heller werdende Tageslicht, betrachtete den Anblick, den Bond bereits abgehakt hatte, den er aber als Quelle endloser Faszination empfand. Diese Stadt war älter als sie alle. Das war ein Trost.
    »Sie sind so etwas wie eine Legende, Beauregard. Ich wurde unter Sergeant Dravot ausgebildet. Er spendete das Blut für meine Verwandlung. Es stammt aus einem guten Geblüt. Er spricht oft von Ihnen.«
    »Ach ja, Danny Dravot. Mein alter Schutzengel.«
    Beauregard nahm einen Widerhall Dravots in Bonds voller Stimme wahr, sogar in seiner entspannten, aber bereiten Haltung. Der Sergeant brachte Fangsöhne zustande, die einiges von seinem Format hatten. Mit etwas Politur würde aus Bond ein guter Mann werden, ein verlässlicher Agent.
    Dravot, in den 1880ern zum Vampir gemacht, würde bis ans Ende der Zeit ein Sergeant sein. Und dem Diogenes-Club zur Verfügung stehen.
    Beauregards Leben, das beträchtliche Gewicht, das ihn an sein Bett und seinen Stuhl fesselte, war zu einem sehr großen
Teil mit dem unscheinbaren Gebäude in der Pall Mall verbunden. Wenn seine Gedanken abschweiften, wie es zunehmend der Fall war, dann löschte eine fotografisch genaue Lebendigkeit die verschwommene Gegenwart aus. Oft war er unvermittelt wieder dort: in Indien 1879, in London 1888, in Frankreich 1918, in Berlin 1938.
    An Gesichter und Stimmen erinnerte er sich deutlich. Mycroft Holmes, Edwin Winthrop, Lord Ruthven. Geneviève, Kate, Penelope. Lord Godalming, Dr. Seward, der Prinzgemahl. Der Kaiser, der Rote Baron, Adolf Hitler. Sergeant Dravot, immer hart auf seinen Fersen. Dracula, der immer wieder entwischt, immer wieder ein Versteck findet, niemals

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