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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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gewartet hatte, gelöst zu werden. Er war warmen Blutes rekrutiert
und auf wissenschaftliche Weise verwandelt worden, per Tubus und Transfusion, dann ausgebildet und zu der Waffe geformt worden, die man für diese Arbeit brauchte. Noch so eine von Winthrops Ideen.
    »Charles, chéri, so darfst du nicht weitermachen.«
    Geneviève schimpfte oder jammerte nicht. Sie machte ein Affentheater, wusste aber ganz genau, wie viel sie für ihn tun konnte und wie viel nicht. Sie legte kurz ihren Kopf in seinen Schoß, damit er die rosafarbenen Tränen in ihren Augen nicht sah. Ihr honigblondes Haar fiel über seine schmalen, von dicken Adern bedeckten Hände. Seine Finger zuckten von dem Impuls, sie zu streicheln.
    Bond betrachtete die beiden.
    Sein aufflammendes Einfühlungsvermögen, das Beauregard während seiner Laufbahn entwickelt hatte und das noch durch die Spuren, die Geneviève in ihm hinterlassen hatte, verstärkt worden war, verriet ihm, was Bond dachte. Eine pflichtbewusste Enkeltochter. Nein, Urenkeltochter.
    Sie war bei weitem älter als er, aber ihm waren sämtliche Jahre anzusehen, die sie an sich hatte abprallen lassen. Geneviève war 1432 verwandelt worden, im Alter von sechzehn Jahren. Nach fünf Jahrhunderten wirkte sie nicht älter als zwanzig. Vorausgesetzt, man sah ihr nicht zu genau in die Augen.
    Es dauerte frustrierende Sekunden, bis ihm wieder einfiel, wie alt er eigentlich genau war. Er war 1853 geboren, 1953 hatte ihm die neue Königin ein Telegramm geschickt. Und jetzt hatten sie …? Endlich fiel es ihm wieder ein, wie immer: 1959. Er war hundertfünf Jahre alt; hundertsechs im nächsten Monat, August. Er mochte zwar nicht gerade so alt aussehen - eine weitere Wirkung ihrer Küsse, das war ihm klar -, aber alt war er zweifelsohne, innerlich wie äußerlich, ein wandelndes Gespenst seines jüngeren Selbst.

    Den Schmerz hatte er schon fast hinter sich gebracht. Vor zehn oder zwanzig Jahren hatte er mit all den Schmerzen und Unannehmlichkeiten des Alters kämpfen müssen, aber sie hatten nachgelassen. Sein Körper verlor die Angewohnheit zu empfinden. Manchmal fühlte er sich wirklich wie ein Gespenst, das durch ein schwachsinniges Medium mit der Welt kommunizierte und nicht in der Lage war, seine Botschaft herüberzubringen. Nur Geneviève verstand ihn, vermittels einer Art natürlicher Telepathie.
    Er brachte sein Husten unter Kontrolle.
    »Sie sollten besser gehen«, sagte Geneviéve entschieden zu Bond.
    »Schon gut, Gené. Es geht mir gut.«
    Sie sah zu ihm auf, sah ihn forschend an aus ihren blauen Augen. Der Trick bei Geneviève war, nicht zu lügen. Sie merkte es immer. Pamela, seine Frau, war genauso gewesen. Diese Gabe besaßen nicht nur Vampire.
    Der Trick war, seine Wahrheit zu sagen.
    »Du kannst es auch nicht darauf beruhen lassen, Liebste«, sagte er.
    Sie sah weg, und er streichelte ihre weichen, feinen Haare. Die elektrisierende Berührung trug ihn zurück zu ihrem ersten Mal miteinander, zu den prickelnden Mustern ihrer Zähne und Nägel auf seiner Haut, zum Kitzeln ihrer Katzenzunge auf den Liebesmalen.
    »Unsere Geneviève war die erste Frau, die je ihren Fuß in den Diogenes-Club gesetzt hat, Commander Bond. Die erste Frau, die der herrschenden Clique gegenübergestanden hat. Erscheint Ihnen das rückständig? Vorsintflutlich?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Sie sollten sie befragen. Sie hat den Knochen auch nicht losgelassen. Den Draculaknochen. Und sie ist eher in der Lage, etwas gegen ihn zu unternehmen, als ein lebendes Fossil wie ich.«

    »Er sollte tot sein«, sagte Geneviève. »Er sollte schon lange tot sein. Richtig tot.«
    »Da würden Ihnen viele beipflichten«, sagte der Neugeborene.
    Geneviève stand auf und sah dem jungen Vampir ins kantige, attraktive Gesicht. Er hatte verheilte Narben.
    »Viele hatten die Gelegenheit, dem ein Ende zu setzen. Ihm ein Ende zu setzen. Einmal, da sind wir … Sie kennen diese Geschichte natürlich.«
    Beauregard verstand Genevièves Bitterkeit.
    1943 war es den Alliierten ratsam erschienen, zu einer finsteren Übereinkunft zu kommen. Daraufhin hatte Edwin Winthrop das Croglin-Grange-Abkommen ausgehandelt, das den Vampirkönig in den Krieg brachte. Der Jüngere, der nicht durch, wie er es selbst nannte, »viktorianische Vorstellungen« behindert war, wollte bereitwillig die Verantwortung und die Schande auf sich nehmen. Beauregard hatte diese Politik trotz allem gebilligt. Selbst Churchill, der Dracula ebenso verabscheute wie Hitler,

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