Die Vampire
von dem Professor.
Mycrofts Bruder, der beratende Detektiv, hegte ein gewisses Faible für ihn. Er mochte gut und gern der übelste Engländer sein, der des Galgens harrte.
»Wenn zwei der drei gefährlichsten Männer dieser Welt in einem Raum versammelt sind«, bemerkte Beauregard, »stellt sich mir sogleich die Frage, wo der dritte stecken mag.«
»Wie ich sehe, sind Sie mit unseren Namen und unserer Stellung wohlvertraut, Mr. Beauregard«, sagte der Chinese. »Dr. Nikola ist unglücklicherweise außerstande, uns mit seiner Anwesenheit zu beehren. Wenn mich nicht alles täuscht, dürfte er vor der tasmanischen Küste zu finden sein, wo er einige Nachsuchungen hinsichtlich versunkener Schiffe anstellt. Uns ist an ihm nicht weiter gelegen. Er verfolgt eigene Interessen.«
Beauregard nahm die anderen, bislang nicht erklärten Mitglieder dieser kleinen Versammlung in Augenschein: Griffin, den der Professor bereits erwähnt hatte, war ein Albino, der sich wie ein Chamäleon seiner Umgebung anzupassen schien. Sikes war ein schweinsgesichtiger Mann, warmblütig, klein, dickbäuchig und brutal. Mit seiner grell gestreiften Jacke und dem mit billigem Öl getränkten Haar wirkte er in solch vornehmer Gesellschaft außerordentlich fehl am Platze. Als Einziger in dieser Runde bot er den Anblick eines typischen Verbrechers.
»Professor, wenn Sie unserem verehrten Gast erklären möchten …«
»Ich danke Ihnen, Doktor«, erwiderte der Mann, den man mitunter den »Napoleon des Verbrechens« nannte. »Mr. Beauregard, wie Ihnen schwerlich entgangen sein dürfte, haben wir - und ich beziehe Sie da durchaus ein - uns keineswegs einer gemeinsamen Sache verschrieben. Wir gehen unserer eigenen Wege. Wenn sich diese zufällig kreuzen … nun ja, dann führt das nicht selten zu Unstimmigkeiten. Zwar hat es unlängst einige Veränderungen gegeben, aber - gleich welcher persönlichen Metamorphose jeder
Einzelne von uns den Vorzug gegeben haben mag - unser Geschäft ist im Wesentlichen das gleiche geblieben. Wir sind, nicht anders als zuvor, eine Schattengesellschaft. Bis zu einem gewissen Grad haben wir eine Übereinkunft erzielt. Wir messen unsere geistigen Kräfte, aber wenn die Sonne aufgeht, ziehen wir eine Grenze. So war es gut genug und brauchte besser nicht zu werden. Es bereitet mir großen Kummer, das sagen zu müssen, doch diese Grenze scheint nun überschritten …«
»Die Polente veranstaltet Razzien im ganzen East End«, fuhr Sikes dazwischen. »Dieser bekloppte Charlie Warren hat schon wieder zu’ner Kavallerieattacke geblasen. Jahrelange Arbeit, in’ner einzigen Nacht zum Deubel. Meine ganzen Freudenhäuser hatter mir dichtgemacht. Spielhöllen, Opium, Mädels: dem is nix heilig. Wir führn anständige Geschäfte, un’ dann komm’ plötzlich so’ne verfluchte Greifer daher un’ machen uns’n dicken Strich durch die Rechnung.«
»Ich pflege keinerlei Verbindungen zur Polizei«, sagte Beauregard.
»Halten Sie uns bitte nicht für naiv«, entgegnete der Professor. »Wie alle Agenten des Diogenes-Clubs bekleiden Sie selbstverständlich keine offizielle Position. Doch das Offizielle und die Wirklichkeit sind zweierlei Dinge.«
»Diese Beeinträchtigung unserer Interessen wird so lange andauern«, sagte der Doktor, »wie jener Gentleman, welcher als Silver Knife bekannt ist, sich auf freiem Fuß befindet.«
Beauregard nickte. »Das will ich gern glauben. Aber es besteht immer noch die Möglichkeit, dass die Polizei den Mörder bei einer Razzia dingfest macht.«
»Er ist keiner von uns«, schnaubte Colonel Moran.
»Er is’n verdammter Irrer, das isser. Also, wir sind ja nu nich’ grad zimperlich - wenn Se kapieren, was ich mein -, aber der Bursche treibt’s’n bisschen zu weit. Wenn mir’ne Nutte zu fidel
wird, geh ich der mit’nem Messer anne Visage, aber doch nich anne Kehle.«
»Soweit mir bekannt ist, gibt es bislang nicht den geringsten Hinweis darauf, dass einer von Ihnen etwas mit den Morden zu schaffen haben könnte.«
»Darum geht es nicht, Mr. Beauregard«, fuhr der Professor fort. »Unser Schattenimperium ist wie ein Spinnennetz. Es erstreckt sich über die ganze Welt, doch sein Mittelpunkt liegt hier, in dieser Stadt. Es ist dicht, verschlungen und von erstaunlich feiner Webart. Wenn eine gewisse Anzahl von Fäden durchtrennt ist, wird es in sich zusammenfallen. Und Fäden werden durchtrennt. Wir haben seit dem Mord an Mary Ann Nichols nicht geringen Schaden erlitten, und die Ungelegenheiten
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