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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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müssen, um den Bogen nicht mit dem Scheitel zu streifen.
    Beauregard ergriff das Heft seines Stockdegens. Der Schlag wurde geöffnet, und rote Augen glommen im Dunkel.
    »Bitte verzeihen Sie die Ungelegenheiten, Beauregard«, schnurrte eine seidenweiche Stimme, die zwar einem Mann zu gehören schien, jedoch nicht allzu männlich klang, »aber Sie werden sicherlich Verständnis dafür haben. Das Spiel steht nicht zum Besten …«
    Beauregard stieg aus dem Wagen und befand sich in einem Hof abseits des Straßengewirrs nahe den Docks. Hier hing der Nebel in Fetzen wie unterseeische Wedel fahlgelber Gaze. Alles war voller Leute. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war Engländer, ein Vampir mit vornehmem Rock und Zylinder, dessen Gesicht die Dunkelheit verbarg. Seine Haltung, deren Weichlichkeit wie einstudiert wirkte, deutete auf einen Athleten im Ruhestand hin; es hätte Beauregard gar nicht gefallen, mit ihm über vier Runden gehen zu müssen. Bei den anderen handelte es sich um bezopfte, bucklige Chinesen, welche die Hände gegen die Kühle in ihre Hemdsärmel geschoben hatten. Die meisten von ihnen waren Warmblüter, bei dem mächtigen Burschen neben dem Kutschschlag allerdings handelte es sich zweifellos um einen Neugeborenen, der den Oberkörper entblößt hatte, um mit seinen Drachentätowierungen zu prahlen und seine Unempfindlichkeit gegen die Herbstkälte zu beweisen.
    Als der Engländer hervortrat, fiel das Mondlicht auf sein jugendliches Gesicht. Seine wunderschönen langen Wimpern gemahnten an die einer Frau, und Beauregard erkannte ihn sogleich.
    »Ich habe Sie anno fünfundachtzig mit sechs Bällen sechs Sechsen
schlagen sehen«, sagte er. »In Madras. Die Gentlemen gegen die Players.«
    Der Sportsmann zuckte bescheiden mit den Achseln. »Ich sage immer, man muss die Bälle spielen, wie sie kommen.«
    Er hatte den Namen des Neugeborenen in der Sternkammer gehört, im Zusammenhang mit tollkühnen, doch durchaus amüsanten Juwelendiebstählen. Der Umstand, dass der Sportsmann an dieser offenkundigen Entführung nicht eben geringen Anteil hatte, bestärkte Beauregard in seiner Annahme, dass er tatsächlich für jene verbrecherischen Kabinettstückchen verantwortlich zeichnete. Beauregard hegte die feste Überzeugung, dass selbst ein Gentleman einem Beruf nachgehen solle, und hielt daher in aller Regel mit den Gentlemen gegen die Players.
    »Hier entlang«, sagte der Amateurdieb und wies auf eine regennasse Brandmauer. Der neugeborene Chinese drückte auf einen Ziegel, und ein Teil der Mauer klappte nach oben und gab eine Öffnung frei, die einer Halbtür ähnelte. »Ziehen Sie den Kopf ein, sonst prellen Sie sich noch den Schädel. Verteufelt klein, diese Schlitzaugen.«
    Beauregard folgte dem Neugeborenen, der im Dunkeln besser zu sehen vermochte als er, wiederum gefolgt von den Chinesen. Da sie einen abschüssigen Gang hinabschritten, mussten sie sich unterhalb der Straße befinden. Wände und Boden glänzten feucht, und die Luft war kalt und faulig: Diese Gemäuer konnten nicht allzu weit vom Fluss gelegen sein. Entferntes Wasserplätschern, das aus einem Schacht heraufdrang, erinnerte Beauregard unwillkürlich an die namenlosen Leichen, und er vermutete, dass nicht wenige von ihnen hier ihre Reise angetreten hatten. Der Durchgang erweiterte sich, woraus er schloss, dass dieser Teil des Labyrinths bereits vor Jahrhunderten erbaut worden war. An wichtigen Gabelungen befanden sich objets d’art, zumeist asiatisch anmutende Antiquitäten. Nach all den Biegungen, Abstiegen
und Türen waren seine Entführer offenbar gewiss, dass er den Weg zurück an die Oberfläche ohne Begleiter nie und nimmer finden werde. Es erfüllte ihn mit einiger Genugtuung, dass man ihn unterschätzte.
    Hinter einer Mauer schnatterte etwas, und Beauregard schreckte zurück. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, von welchem Tier die Laute stammen mochten. Der Neugeborene wandte sich dem Geräusch zu und zog am Kopf einer Jade-Raupe. Eine Tür öffnete sich, und Beauregard wurde in einen dämmrigen, prachtvoll möblierten Raum geleitet. Es gab keine Fenster, nur Wandschirme mit Chinoiserien. In der Mitte stand ein riesiger Schreibtisch, an dem ein uralter Chinese saß. Mit langen, harten Fingernägeln trommelte er auf die Schreibunterlage. Seine Spießgesellen saßen in bequemen Lehnstühlen im Halbkreis um den Tisch versammelt. Das unsichtbare schnatternde Ding verstummte.
    Einer der Männer wandte den Kopf, und seine rot glühende

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