Die Vampire
wusste nicht einmal, warum er es nicht getan hatte.
»Du musst nicht werden wie er«, sagte sie und meinte Dracula. »Du musst auch nicht werden wie ich. Du musst nur leben …«
Er gurgelte ein Lebewohl. »Für immer dein.«
Und sie wiederholte: »Für immer?«
Dann kam die Antiklimax, wie es sich gehörte, und er erholte sich. Anstatt zu sterben und als Vampir wiederzukehren. Er überstand einfach seine Verletzungen und machte sich wieder an die Arbeit, Dracula aus Großbritannien hinauszuwerfen, stieg auf, kämpfte andere Schlachten, wurde alt, wurde müde, versuchte dabeizubleiben, kam nach Rom …
Warum?
Seinetwegen. Wegen Dracula.
Es war seine Pflicht, Dracula im Auge zu behalten, aufzupassen, dass er nicht wieder an die Macht zurückkehrte. Wenn er starb, würden andere diese Aufgabe übernehmen - Winthrop vor allem, vielleicht auch Geneviève - und il principe vielleicht für immer daran hindern, auf die Weltbühne zurückzukehren.
Für immer?
War irgendetwas für immer?
Er hatte Geneviève 1888 geliebt, und er liebte sie 1959 noch immer. Das schien durchaus für immer. Nur hatte er auch nie aufgehört, Pamela zu lieben. Die Tote zu lieben schloss nicht aus, die Lebende zu lieben.
So kurz vor dem Ende lernte er immer noch dazu. Mittels Nachdenken und Sicheinfühlen hatte er ein altes Dilemma geklärt. Wie immer es sich beim Großteil der Vampire auch verhalten mochte, Geneviève lebte in jeder Hinsicht, die zählte. Und sie war nicht allein. Auch Kate konnte zu einer solchen Ältesten heranreifen.
Er überließ die Welt nicht den wandelnden Toten.
Jahrelang hatte Geneviève sein Blut getrunken, leidenschaftlich zunächst, später taktvoll, ohne ihm das ihre aufzudrängen. Einmal hatte er sich so, wie Geneviève sich ihm angeboten hatte, Kate angeboten. Während des Ersten Weltkriegs, als sie völlig ausgeblutet gewesen war, hatte er ihr das Handgelenk hingehalten und gesagt: »Nur zu, mein liebliches Geschöpf, trink.«
Damals, 1918, hatte Geneviève sich auf der anderen Seite des Erdballs befunden. Zumindest ein Teilgrund, warum er Kate sein Blut hatte trinken lassen, war es gewesen, dass ihm das Gefühl des Vermischens und der Auszehrung gefehlt hatte. Heute konnte er das zugeben. Es fühlte sich nicht wie Untreue an.
Die Vereinigung, die gelegentlich erneuert worden war, hatte ihm Kraft gegeben, und Kate auch. Bei ihr stand er am meisten in der Schuld, denn sie hatte sich immer um einen Platz in seinem Leben bemüht und es nie bis ganz nach vorn geschafft. Wenn er nicht … dann wären Kate und er vielleicht …
Wie die Königin damals musste auch Kate befreit werden. Und zwar von ihm, von seiner sie hindernden Präsenz. Ohne ihn würde sie reifen. Vielleicht war sie von ihnen ja die Einzige,
auf die das Wort heldenhaft zutraf, denn ihr fiel nichts in den Schoß.
Diese Kreatur mit den starken Armen hatte ihn ins Gesicht geschlagen. Eine Ohrfeige, kaum mehr. Es tat nicht einmal weh. Aber sein Gehirn war ordentlich durchgeschüttelt worden, und nun gingen die Lichter aus.
Diese ganzen Gedanken an die Vergangenheit.
Das war Sterben. So ging Sterben. Endlich.
»Ich bin bestimmt die letzte Frau, mit der du gerechnet hast, Charles.«
Pamela?
Er öffnete die Augen und stellte fest, dass er sich noch immer in seinem Körper befand, in seinem Rollstuhl, seiner Wohnung.
»Diese Französin ist eindeutig keine gute Hausfrau.«
Sie stand in der Tür zum Arbeitszimmer und betrachtete missbilligend die umgeworfenen Bücherregale, das überall verteilte Geröll des Golems und die verschobenen Möbel.
Nicht Pamela.
»Penelope. Penny.«
Jedes Mal, wenn er sie sah, war es ein Schock. Sie hatte ganz allmählich ihre Mädchenhaftigkeit verloren, hatte Konturen bekommen, bis sie dem Bild ihrer Cousine glich, seiner Frau. Er wusste noch genau, warum er Penelope beinahe geheiratet hätte und warum das äußerst herzlos gewesen wäre.
Sie hatte sich vor kurzem genährt. Er sah es an der Farbe ihrer Wangen und ihrer Lippen.
Hatte seine Vernachlässigung ebenso wie Godalmings Blut dazu beigetragen, dass ein Raubtier aus ihr geworden war?
Sie trat ins Zimmer und stellte einige Stühle auf.
»Du bist richtig alt geworden, Charles. Damit hätte ich rechnen müssen.«
Sie hob ein Bücherregal auf und rückte es wieder an die Wand. Dann räumte sie mit der Flinkheit der Untoten die Bücher ein, so, wie sie ihr in die Hände kamen. Sie wollte sie einfach nur vom Boden weg haben, damit es ordentlich
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