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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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das hier nicht. Sie war am Meer, in den Ferien. Sie wollte Kasperletheater, Zuckerstangen, Nachmittagstee. Sie wollte Fossilien finden, eine Flaschenpost, seltsam geformtes Treibholz. Sie wollte wieder das Mädchen in Lyme Regis sein, das sich fragte, was ihm sein Vater nicht über die ausgezehrte, schöne Frau erzählen
wollte, die am Ende der mächtigen Hafenmauer stand und über das Meer sah. All diese Jahre später wusste sie genau, was diese namenlose Frau empfunden hatte. Liebe und Verlust.
    Autos fuhren in einer düsteren Prozession durch die Stadt. Ihre Passagiere waren die vornehmeren Gäste des principe und seiner Verlobten, die Schönen und die Wilden.
    Der Palazzo warf seinen Schatten über das Meer. Kate sah auf, schirmte die Augen vor der untergehenden Sonne ab. Dort also lebte der Teufel heutzutage.
    Es war wichtig, dass sie ihrem Gastgeber ins Gesicht sah. In all diesen Jahren, in diesem Jahrhundert des Dracula Cha-Cha-Cha, war sie ihm nie begegnet, hatte ihn nie getroffen. Einmal hatte er ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt und sie zur gefährlichen Staatsfeindin erklärt. Dann jedoch war er von einer Woge weitaus mächtigerer Feinde überrollt worden und hatte sie vergessen - vermutete sie. Aber sie hatte seine Hand gespürt: in der Wunde von einem silbernen Schwert, die sie sich während der Zeit der Schrecken zugezogen hatte, auf ihrer Flucht vor der Karpatischen Garde, und in den eisernen Ketten des deutschen Panzers, der in den Schützengräben über sie hinweggerollt war. Jetzt, wo Charles nicht mehr war, war sie mit Dracula allein auf der Welt. Sie sollten sich besser einmal treffen. Vielleicht konnten sie, wenn das zwischen ihnen geklärt war, beide frei sein. Dann wäre alles vorbei.
    Die ungewisse Zukunft machte ihr Angst. Wenn die Musik zu einem Ende kam, wenn der Cha-Cha-Cha vorbei war, was dann?
    Das Blut brannte nicht mehr ganz so in ihr. Es war immer noch alles von kräftigen Farbblöcken überlagert, und alles, was lebte oder sich bewegte, zog Schleier hinter sich her. Aber ihr Verstand kehrte langsam zur Erde zurück, im Sturzflug fast.
    »Bring mich dorthin«, befahl sie.
    Marcello machte eine garstige kleine Verbeugung und bot ihr seinen Arm an.

19
Das Fest
    S ie trug schwarzen Samt. Das Kleid ließ ihre Schultern frei, floss jedoch zum Boden hinab wie eine Schleppe. Es war schwer, aber Geneviève konnte das Gewicht tragen. Ein wenig beachteter Vorteil des Vampirdaseins war die Fähigkeit, sich bequem in aufsehenerregende Ensembles zu hüllen, in denen eine warmblütige Frau keine Luft mehr bekam oder sich nicht mehr rühren konnte. Den dazugehörigen Hut mit Schleier trug sie nicht, ihn hatte sie für die Beerdigung gebraucht.
    Seit der Beerdigung war sie nie länger als eine Stunde außerhalb der Wohnung gewesen. Beim Gehen nahm sie Charles’ Einladung auch noch mit. Es wäre vielleicht amüsant, sie irgendeinem x-beliebigen Pärchen zu geben und sie il principes Gastfreundschaft genießen zu lassen. Andererseits hatte sich ein Willkommensgruß Draculas gelegentlich als tödlich erwiesen. Seine Marotte, Gästen die Mützen an den Kopf zu nageln oder Statthalter zu pfählen, die sich über den Gestank der Toten beschwerten, hatte er wahrscheinlich inzwischen abgelegt, aber man ließ es besser nicht darauf ankommen.
    In der Einladung war angegeben, dass für den Transport nach Fregene gesorgt war, wenn man zwischen 18 und 22 Uhr auf der Piazza del Quirinale eintraf. Wie sich herausstellte, bewegte sich für Gäste, die den Weg nicht selbst machen wollten, unablässig eine Wagenflotte zwischen der Piazza und dem Palazzo Otranto hin und her.
    Sie teilte sich einen Daimler mit Leuten, die sie nicht kannte. Jeremy Prokosch, ein Produzent aus Hollywood mit scharlachroten Brillengläsern und einem kleinen Büchlein zum Notieren von Ideen. Dorian Gray, die italienische Schauspielerin, nicht der
englische Freigeist. Dr. Hichcock, einer der Leibärzte des principe, und seine stille Gattin, eine von vielen modebewussten Frauen, die sich so zurechtgemacht hatten, dass sie Prinzessin Asa möglichst ähnlich sahen. Und eine unglücklich wirkende Hungerkünstlerin namens Collins.
    Geneviève hätte sich gern einmal mit Collins unterhalten, da man nur selten amerikanischen Vampiren begegnete, aber Prokosch erging sich in einem Monolog über das Showgeschäft. Anscheinend hätte er um ein Haar im Wagen vor ihnen gesessen, zusammen mit Orson Welles, der den Argo in der Argonautenverfilmung spielte,

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