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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Die Flüche des Schäfers blieben ungehört hinter ihnen zurück.
    Sie bogen um eine Kurve. Der Palazzo Otranto erhob sich alt und düster auf seinem Vorgebirgsberg, wie es sich gehörte. Sanft fiel die Straße zum Strand hin ab. Für die Verlobung hatte Dracula einen Feiertag angeordnet. In der Stadt ging es zu wie beim Karneval, sie wimmelte von bleichen Leuten in aufwendigen Kostümen.
    Kate wies Marcello an, an der Strandpromenade entlangzufahren. Hier war es nicht wie in Brighton oder Blackpool. Vampirfrauen stellten totenweiße Körper in Badekleidern zur Schau, an die nie auch nur ein Tropfen Wasser kommen würde. Diener trippelten mit Sonnenschirmen von der Größe der Parabolantenne des Jodrell-Bank-Radioobservatoriums umher, damit ihre Herrinnen im sicheren Schatten blieben. Es gab Musik und Tanz und Speis und Trank.
    Sie war auch nicht anders als sie, war genauso ein Vampirmiststück mit einem menschlichen Schoßhund, wie sie hier überall herumwimmelten gleich Krabben, mit klickenden und klackenden Zähnen und Krallen und einer Schneckenspur aus Blut hinter
sich. Alle Gesichter waren Schädel, deren Wangenknochen und Zähne schimmerten, deren Augenhöhlen gähnten. Alle Stimmen waren schrill, überall kreischte grausames Gelächter. Die Sonne bleichte alles zur Farbe von Sand.
    Marcello hatte Angst vor ihr, konnte ihr nichts abschlagen. Das war mal eine Abwechslung. Normalerweise war Kate es, die dem anderen nichts abschlug, die leer war, wenn er sie verließ. Endlich einmal war sie frei, nur an sich zu denken, an ihre eigenen Wünsche und Träume. So wie der Rest der Welt.
    Sie sprang aus dem Ferrari, ganz geschmeidig von dem lebendigen Blut in ihrem Körper, und landete ihren Absätzen zum Trotz wie auf Katzenpfoten. Sie hatte ein kleines Schwarzes von Pero Gherardi gefunden und den Großteil ihrer Lire dafür hingeblättert. Dazu trug sie einen scharlachroten Schal, der zu ihrer Haarfarbe passte.
    Am Strand wurden Leute auf sie aufmerksam. Ein paar Jungen, die irgendein Meerestier aus der Brandung holten, drehten sich um und pfiffen. Sie posierte à la Malenka. Der Wind peitschte ihren Schal wie Tintenfischtentakel. Sie hätte am liebsten gebrüllt wie ein Pantherweibchen. Die Jungen waren randvoll mit Blut. Wenn sie ihr zu nahe kämen, würde sie sie voller Liebe reißen.
    Marcello stellte den Wagen ab und folgte ihr, eine Zigarette in der Hand. Er war ungeduldig, praktisch, schob sie voran, sagte ihr, sie solle den Jungen am Strand keine Beachtung schenken. Er führte sich auf, als ob er ihr Vater wäre.
    Sie ohrfeigte ihn, um ihm eine Lektion zu erteilen. Aufreizend zog er die Schultern zu einem »Na-wenn-das-so-ist« hoch. Die Ohrfeige war ein Fehler, zu plump. Kate übte ihre Kontrolle über ihn aus, sandte ihren Willen durch sein Blut, machte aus seinen Arterien Marionettenfäden, riss ihn an sich und verpasste ihm einen scharfen Kuss auf den Mund. Er ließ es über sich ergehen, was sie nur noch mehr reizte.

    Sie war ihn allmählich satt. Nein, diese Spielchen. Ihr drehte sich der Kopf. Sie befand sich seit Tagen in diesem Wirbel. Seit Wochen?
    Sie wollte nicht an Verlust denken. Sie biss Marcello in den Hals und schabte sich ein wenig von seinem Blut auf die Zunge. Die Woge machte alles wieder besser, jedenfalls für den Moment.
    Die Jungen jubelten Marcello zu. Er brachte ein Lächeln und ein Winken zustande.
    Kate genoss seine gesamte Aufmerksamkeit. Aber er hielt etwas zurück. Er gab ihr sein Blut und seinen Körper, aber um sein Herz lag ein Ring aus Eis. Sie wusste, was er dachte, aber nur selten, was er fühlte. Bestimmt liebte er sie. Das sah man daran, was er tat, was er sagte. Seine Liebe war ein Mantel, ein Schutz. Vielleicht wollte, brauchte Kate sie nicht, aber sie war da.
    Die Jungen zerrten ihr Meeresungetüm den Strand herauf und legten es ihr zu Füßen. Es sah aus wie ein lebender Flügel mit einem langen Schwanz voller Widerhaken. Ein einzelnes Auge sah lidlos und rund zu ihr herauf, trübte sich. Was sah dieses sterbende Etwas?
    Sie kniete sich in den feinen Sand - wobei sie auf ihr Kleid achtgab - und berührte die kalte Schuppenhaut. Die Kreatur lag in den letzten Zuckungen. Ihr sich windender, schwindender Geist verstörte Kate, als er auf seinem Flug an ihr vorbeistrich. Nun war jede Bewegung mechanisch.
    »Es ist tot«, sagte ein Junge. »Man sieht es am Auge.«
    Das Auge war jetzt eine weiße Murmel.
    Angst durchfuhr sie. Ihr war etwas Wichtiges entgangen.
    Sie wollte

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