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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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wieder zusammenzunähen. Sie hatten dicke Nadeln und starken Bindfaden, wie ihn die Seeleute früher zum Flicken von Großsegeln verwendet hatten. Kate nahm sich vor, im Meer nach Nähten Ausschau zu halten, wenn Die Argonauten ins Kino kam.
     
    Mit einem gewaltigen Seufzer sank Welles in einen sich verziehenden Stuhl und ließ die weißen Rinden von seinen Augen springen. Sie befanden sich ein Studio weiter in einem Café, und Welles, der sich aus dem Palazzo Otranto an sie erinnerte, war einverstanden, mit ihnen zu reden.
    Es musste sich um einen unbenutzten Schauplatz handeln, den man in eine Cafeteria umgewandelt hatte. Das Gebäude besaß die Größe eines Luftschiffhangars. Eine Straße wand sich hindurch, und kleinere Gebäude standen darin wie Schiffe im Bauch eines gigantischen Wals. Eine Reihe Straßencafés machten offensichtlich ein gutes Geschäft, die meisten Tische waren mit beschäftigten jungen Leuten besetzt. Ein Transistorradio spielte blechern den »Dracula Cha-Cha-Cha«, kein Lied, an das Kate sich gern erinnerte. Einen Tisch weiter gab ein stierköpfiger Gestaltwandler vor ein paar aufgekratzten jungen Frauen an. Kate konnte sich vorstellen, welche Figur er verkörperte.
    Welles’ Kostüm war immer noch feucht, aber er zählte zu den Männern, die sich in jeder Situation wohlzufühlen schienen. Unter ihm färbten Tropfen den Beton.
    Kate versprach sich inzwischen nicht mehr so viel von dem Gespräch wie bei ihrem Aufbruch. Welles war schließlich ein Schauspieler, kein echter Seher. Aber er war dabei gewesen, als Dracula starb, und hatte genug von einem Zauberer an sich, um die meisten Tricks zu durchschauen.

    Im Grunde hatte sie nur Angst, dass er erklären würde, wie sie es angestellt hatte. Alles zwischen ihrem Abstieg von der Klippe und dem Moment, als sie, von il principes Blut besudelt, in Genevièves Arme gestolpert war, verbarg sich hinter rotem Nebel. Jemand - diese Mater lachrymarum - konnte ihren Geist übernommen und sich ihres Körpers bedient haben. Einzig die Indizien sprachen dagegen. Das silberne Skalpell mit den Spuren verbrannter Vampirhaut daran. Ihre unverletzten Handflächen. Wenn Welles die Handlung von Mr. Arkadin verstand, war er dann nicht auch in der Lage, sich einen Ablauf auszudenken, der sie zu einer Marionette und einer Mörderin machte?
    In dem Café war viel los, aber niemand kam, um ihre Bestellung aufzunehmen.
    »Zwei charmante Vampirdamen schauen vorbei.« Welles taxierte sie, jede mit einem Auge. Unter der Schminke und dem teigigen Fleisch, das zurzeit auch noch von einem rot gefärbten Bart bedeckt war, lag das Grinsen eines Lausejungen. »Eine seltene Ehre im Leben des alten Prospero.«
    »Mr. Welles, wir möchten Ihnen gern ein paar Fragen zu dem Hochzeitsfest im Palazzo Otranto stellen«, sagte Kate. »Zu dem Mord.«
    Welles rieb seine Zaubererhände aneinander.
    »Sie suchen mich in meiner Eigenschaft als Detektiv auf. Ich war einmal Sherlock Holmes und der Shadow.«
    Kate hatte den echten Sherlock Holmes kennengelernt, während der Zeit der Schrecken. Sie war sogar einmal während des Ersten Weltkriegs einem Flieger über den Weg gelaufen, aus dem später vielleicht einmal der Verbrecherjäger geworden war, den man den Shadow nannte. Wenn es in dem Labyrinth von Verbrechen und Detektivarbeit eine Rolle gab, die auf Welles passte, dann die von Sherlocks Bruder, dem schmerzlich vermissten Mycroft. Welles wäre vielleicht sogar in der Lage gewesen, den breiten
Sessel auszufüllen, der im Rauchsalon des Diogenes-Clubs für diesen ehrenwerten Gentleman reserviert blieb.
    »Eigentlich suchen wir Sie eher in Ihrer Eigenschaft als Zeuge auf«, sagte Geneviève.
    »Ich bin nämlich in meiner Eigenschaft als Verdächtige hier«, warf Kate ein. Es im Scherz zu sagen, machte es nicht besser.
    Welles runzelte die Stirn. Eine dünne Linie erschien zwischen seinen Augen, als sich das obere Ende seiner Nase löste.
    »Oh«, sagte er enttäuscht. »In diesem Fall kann ich, fürchte ich, wenig mehr sagen, als ich schon der Polizei erzählt habe.«
    Geneviève hatte ihn falsch angepackt, begriff Kate. Ihre geradlinige und ehrliche Herangehensweise stammte noch aus der Zeit vor der Renaissance. Welles war ein Genie, ein Prinz, ein Magier. Er musste umworben werden, umschmeichelt, verführt. Für ihn musste etwas kompliziert sein, oder es war die Mühe nicht wert.
    »Als ein Meister der Holmes’schen Methode, Mr. Welles, zu welchen Annahmen sind Sie da über den

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