Die Vampire
Urheber der Gräueltat im Palazzo Otranto gelangt?«
Das bockige Genie sah Kate mit hochgezogener Braue an und kam zu dem Schluss, dass sie ihm gefiel. Sie merkte es sofort und schob ein geziertes Lächeln hinterher, das Penelope mit Stolz erfüllt hätte.
Welles schwoll an, als er Luft holte, sichtlich nachdachte. Noch in den hinteren Rängen hätte man die Falten gesehen, die das Denken in seine Stirn kerbte. Seine Nase drohte abzufallen, ihre Ränder lösten sich von den Wangen, bogen sich hoch.
»Meine erste Schlussfolgerung war, dass der Mörder von demselben Schlag ist wie ich.«
»Sie meinen, er kommt ebenfalls aus Amerika?«, hakte Geneviève nach.
»Nein, meine Liebe.« Welles winkte ab. Seine Hände waren fleischig. »Er versteht sich ebenfalls auf effektvolle Darbietungen. Sie
müssen zugeben, dass es ein Geniestreich war, Draculas Kopf so zu arrangieren, mit dem Umhang und den Lichteffekten und so weiter. Es war ein Moment der Offenbarung. Bei dem Sie übrigens vorzüglich mitgespielt haben. Das Ganze schien weniger als Verbrechen denn als coup de théâtre geplant worden zu sein.«
»Für solche Inszenierungen sind eigentlich Sie bekannt«, warf Kate ein.
»In der Tat, in der Tat. Ich hatte erwartet, dass die Polizei mehr damit anfängt und mich als Verdächtigen einstuft. Ich bin überzeugt, dass der Mörder oder die Mörderin es genau darauf angelegt hatte. Ich hatte derjenige sein sollen, auf den sich alles stürzt. In meinem Kopf habe ich schon bei Dracula Regie geführt. Ich hätte seinen Tod wohl ähnlich inszeniert. 1940 hatte ich Stokers Buch verfilmen wollen, noch vor Kane. Komplett aus der Perspektive von Jonathan gedreht, die Kamera als seine Augen. Aber die Produktionsfirma bekam kalte Füße. Ich habe es dann fürs Radio gemacht, mit dem Mercury Theatre, und Harker und den Grafen gespielt.«
»In dieser Nacht waren noch andere im Palazzo, die man als theatralisch bezeichnen könnte«, sagte Geneviève. »John Huston, Cagliostro, Elvis Presley, Samuel Beckett.«
Welles ließ keinen der Namen gelten. »Es wäre schwer, unter den Gästen jemanden zu finden, der keinen Hang zur großen Geste hat. Auch Dracula war ein Meister darin, etwas effektvoll in Szene zu setzen. Bedenken Sie sein Faible für öffentliche Massenhinrichtungen. Sein unvermitteltes Erscheinen aus dem Nichts - zack, kam er im wallenden Umhang aus der Falltür hoch auf die Bühne gefahren. Dann seine zahlreichen Ehen, die alle Schlagzeilen machen sollten oder politischen Zielen dienten. Kein Wunder, dass dieser Kontinent für Hitler und ihn zu klein war. Sie waren einander zu ähnlich.«
»Sie sagten, dies sei Ihre erste Schlussfolgerung gewesen«, meinte
Kate. »Dann sind Sie auch noch zu einer zweiten oder dritten gelangt?«
Welles lachte dröhnend. »Sie sind ein Prachtstück, Miss Reed. Ein ganz seltenes. Haben Sie je geschauspielert? Sie gäben eine großartige Frau Hurtig ab …«
Na vielen Dank auch, dachte sie.
»Nein, da irre ich mich. Sie sollten Prinz Heinrich sein. Ich habe für meinen Falstaff nie den richtigen Partner gefunden. Sie haben es in sich, den Jungen zu spielen und der Mann zu werden. Eine Umkehr der Tradition aus Shakespeares Zeit. Frauen sind in der Lage, Männer zu spielen. Die Bernhardt war ein einbeiniger Hamlet. Ich hoffe, nächstes oder übernächstes Jahr wieder einen Film drehen zu können, wenn wir das Geld zusammenhaben. Alle meine großen Hauptdarsteller kommen aus Irland.«
»Ihre zweite Schlussfolgerung?«, hakte Geneviève nach.
Welles kehrte zum Thema zurück. »Wie ich schon sagte, außer mir verstand sich niemand so gut darauf, etwas effektvoll in Szene zu setzen, wie das Opfer. Die Inszenierung stammt nicht vom Mörder, sondern von Dracula.«
»Es war Selbstmord?«, fragte Kate verblüfft.
»Das bezweifle ich. Nein, es ergab sich einfach. Unser Mörder griff in ein Schauspiel ein, das bereits am Laufen war. Er gestattete nur dem Kopf des Stars noch den großen Auftritt. Es war ein kalkulierter Akt der Entthronung. Auf seine eigene Art ein komödiantischer Moment. Die Absicht war, Draculas Auftritt zu ruinieren; er sollte nicht nur sein Leben verlieren, sondern auch seinen Ruf. Ein Jahrhundert lang hatte er die Welt in seinem Bann, nun sollte dieser Bann gebrochen werden. Ich glaube, unser Mörder ist kein Regisseur, sondern ein Kritiker.«
Er lehnte sich zurück, dass der Stuhl quietschte, und erwartete Beifall.
Ein Kritiker war eine Art Journalist. Kate hatte
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