Die Vampire
Dialogszenen zählten sie alle langsam in ihrer Muttersprache bis hundert und lieferten bei jeder Zahl einen anderen Gefühlsausdruck. Ihr Text wurde nachsynchronisiert, oft von ganz anderen Schauspielern. Selbst Welles konnte seine unverwechselbare canyontiefe Stimme verlieren und sich plötzlich anhören wie Mickymaus.
Einige Bühnentechniker hielten die große, blau glitzernde Plane hoch, von der es gegen die Schiffsseite platschte, und machten Wellen, indem sie die Arme auf und ab bewegten wie Synchrongewichtheber. Wasser bildete Pfützen in den tieferen Stellen der Plane und troff durch Risse, durchnässte die armen Kerle darunter.
Am Bug gesellte sich Jason zu Argo. Kirk Douglas reckte sein Grübchenkinn in den künstlichen Wind und schlug dem Schiffbauer auf die Schulter.
»Wenn wir diesen Teppich nicht kriegen, Dicker«, sagte er mit Gefühl, »dann gibt’s was auf den Arsch.«
»Vorher breche ich dir das Kinn, du Mime«, gab Argo zurück.
Eigentlich sollte das Drehbuch von Eddy Poe stammen, und das klang gar nicht nach ihm. Er war mit seinen epischeren Dialogzeilen wohl in Verzug.
Argonauten legten sich in die Riemen, die auf die nasse Plane schlugen und ein paar Techniker in die Knie zwangen. Aus den Meerestiefen gellten Flüche und Schmerzensschreie. Eine göttliche Stimme von hoch oben befahl der Mannschaft, weiterzurudern. Gott sprach ein von österreichischem Dialekt gefärbtes Englisch und forderte die Komparsen auf, sich richtig reinzuknien. Geringere Götter übersetzten die Anweisungen in verschiedene europäische Sprachen.
Der Sturzbach hatte sich zum Wolkenbruch gesteigert. Einige Brauseköpfe fielen von der Studiodecke herunter, und Wasserstrahlen aus Schläuchen peitschten, von den Windmaschinen gebogen, durchs Studio. Douglas stützte Welles. Wasser troff von ihnen herab. Dass Argo noch seine Nase hatte, war ein Wunder.
Ein Karnevalskopf durchbrach neben dem Boot die Oberfläche der Plane und stieg an Spanndrähten empor, verspritzte aus Maul und Nüstern zusätzliches Wasser. Kate überlegte, dass es sich wohl um Poseidon oder einen seiner fischgesichtigen Spießgesellen handeln sollte. Er sah aus wie eine ins Riesenhafte aufgeblähte Handpuppe, mit Flossenohren und Hummerfühlern, die sich über großen rollenden Augen spreizten.
Der fischige Unterkiefer des mechanischen Monstrums blieb am Meer hängen und riss einen Teil davon ab. Requisitenwasser troff herab und ließ Dutzende Füße auf dem nassen Boden ausgleiten. Das Meer fiel rings um die argo in sich zusammen, sackte unter den Riemen weg und entblößte das Gerüst, das die Schiffshälfte aufrecht hielt.
Toby Dammit, das englische Matinee-Idol, das den Theseus spielte, wurde entdeckt, wie er im Schnittdiagramm der Bilgen heimlich eine Zigarette rauchte. Er sah aus wie eine Kreatur vom Meeresgrund, ungesund blass, mit sich im Licht verengenden Pupillen, die Wangen aufgebläht vom Innendruck seines Körpers. Kate hatte so eine Ahnung, dass in seiner Selbstgedrehten mehr als nur Tabak war.
»Schnitt«, dröhnte die Stimme Gottes.
Plötzlich war aller Lärm vorbei. Selbst das leise Plätschern des Wassers ließ nach.
Geneviève klopfte Kate auf die Schulter und zeigte nach oben. Ein Stuhl auf einem Kran fuhr von einer Plattform herunter, auf der eine Filmkamera thronte wie eine Maschinenkanone. In dem Stuhl saß ein alter Mann in Schaftstiefeln und einem Hemd mit offenem Kragen. Ein Glas seiner Brille war schwarz. Er hob ein Megafon von der Größe einer Mülltonne an den Mund.
»Wer hat das Meer nass werden lassen?«, wollte Gott - Fritz Lang - wissen. »Sie sind gefeuert.«
Geneviève lachte auf, vor Verblüffung wahrscheinlich. Ihr Kichern hallte durch das riesige Studio.
»Die da lacht, ist auch gefeuert«, verkündete Gott.
Geneviève zuckte die Achseln und prustete in sich hinein. Kate sah sie vorwurfsvoll an.
Ein italienischer Bühnentechniker schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, zu Lang hinüber. Er redete eine Weile, gestikulierte ausdrucksvoll mit den Schultern. Der Regisseur wippte sieben Meter über ihm und dachte nach.
Schließlich hob er sein Megafon.
»Fünfzehn Minuten Pause«, sagte er wie ein Bundesrichter, der eine Vertagung verkündet. »Bis das Meer repariert ist. Niemand verlässt das Studio. Das ist alles.«
Der Stuhl stieg wieder nach oben unter das Dach. Sofort begann
alles durcheinanderzuschreien. Ein paar Leute fingen sogar an zu arbeiten. Näherinnen kamen und begannen das Meer
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