Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
Vampir. Ihre Hände streiften sein Gewand, als er, eine Viertelsekunde, ehe sie ihn erreichte, einen Schritt zur Seite tat. Als sie an ihm vorüberkam, stach er ihr die spitzen Finger in die Flanke. Ihr Kleid hing in Fetzen, ihre Haut war durchbohrt. Sie klatschte gegen eine kalte Rinderhälfte und kollidierte rückwärts taumelnd mit einigen Zuschauern. Diese fingen sie auf und stießen sie unter lauten Rufen erneut gegen den Chinesen hin. Es war wie ein Boxkampf mit bloßen Fäusten, bei dem die Menge die beiden Kontrahenten in einem fort gegeneinander aufhetzte. Bis entweder der eine oder der andere sich weigerte, noch einmal aufzustehen.
    Sie hätte keinen roten Heller auf sich verwettet. Folgte man dem Aberglauben, so konnte sie dem Angriff des Vampirs Einhalt gebieten, indem sie ein Gebet an Buddha auf einen Zettel schrieb und die Zauberformel an die Stirne des Chinesen heftete. Oder indem sie ihm Klebreis vor die Füße streute, ihn auf diese Weise an die Erde bannte, den Atem anhielt, so dass sie allen Untoten als unsichtbar erschien, und ihn mit einem gesegneten, blutgetränkten Draht in Stücke schnitt. Nichts von alledem schien nun von großem Nutzen.
    Der Älteste breitete die langen Arme aus wie ein Kranich seine riesenhaften Schwingen und versetzte ihr einen Tritt unter das Kinn. Mit der Sandalenspitze spießte er ihren Unterkiefer und hob sie in die Höhe. Die Landung war schmerzhaft: Sie stürzte
schwerfällig auf ein Tischgestell, wo in Mehl auf Wachspapier gereihte Nieren ausgebreitet waren. Die Böcke brachen unter ihrer Last, und sie lag abermals am Boden, inmitten dunkelroter Fleischklumpen. Eine Lampe rollte über das Pflaster, und eine rußige Flamme schoss aus einem Luftloch an ihrer Seite, als sie neben einer Glaskugel mit veilchenfarbenem Paraffinöl liegen blieb.
    Sie blickte auf und sah, wie der Chinese sich ihr gemächlichen Schrittes näherte. Grüne Augen glühten in seinem Gesicht, das einer verdorrten Ledermaske glich. Er platzierte seine Tritte präzise wie ein Tänzer. Für ihn war dies ein Schauspiel, eine Demonstration. Wie ein Stierkämpfer heischte er Beifall, indem er sein Opfer zur Strecke brachte.
    Im Rücken des Wesens regte sich etwas, und es hielt inne, spitzte wollüstig die ohnehin spitzen Ohren. Charles machte sich an den Ältesten heran, sein Degen ein silberner Blitz. Wenn er ihm nur die Klinge in den Leib stoßen und das Herz durchbohren könnte …
    Der Vampir beugte den Arm dreifach nach hinten, schloss seine Klauen um Charles’ Handgelenk und wehrte den Degenhieb auf diese Weise ab. Als er Charles den Arm verrenkte, drehte sich der Degen wie der Zeiger einer Uhr, ohne die Gewänder des Chinesen auch nur zu streifen. Klirrend fiel der Degen aufs Pflaster. Der Vampir ließ Charles einen Purzelbaum vollführen und stieß ihn dann samt seiner Waffe von sich. Ein mitleidvolles Raunen ging durch die Menge.
    Geneviève versuchte sich aufzusetzen. Die Nieren waren wie nackte, tote Riesenschnecken: Sie barsten unter Genevièves Gewicht und befleckten sie mit ihrem Saft. Der Älteste wandte sich wieder zu ihr um und streckte einen knochigen Arm aus, dessen Ärmel wie von einer unmerklichen Brise gebläht schien. Aus den finsteren Tiefen seines Gewandes brach eine flirrende Wolke
hervor, die größer und größer wurde, wie die fantastisch sich bauschenden Tücher eines Zauberkünstlers. Schwirrend und zitternd schwärmte die Wolke zu ihr hin. Eine Million winziger Schmetterlinge, bunt schillernde Schönheiten, deren Flügel das Licht brachen wie eine Handvoll hingeworfener Diamantsplitter, fiel über sie her. Sie häuften sich auf den Nieren zusammen, verschlangen sie in einem Nu und machten sich über Genevièves Gesicht her, flatterten aufgeregt um die Fleischfetzen an ihrer Haut, zerrten an ihren Augenwinkeln.
    Sie hielt den Mund fest geschlossen und schüttelte heftig den Kopf. Sie wischte sich mit den Handgelenken die Augen. Ein jedes Mal, wenn sie sich eines Schwungs entledigt hatte, sammelten sich die Schmetterlinge von neuem. Sie tastete nach der Lampe auf dem Pflaster und löschte mit Daumen und Zeigefinger die Flamme. Nachdem sie den zischenden Docht losgerissen hatte, leerte sie die Lampe über ihren Kopf aus. Die Schmetterlinge wurden fortgespült, und der stechende Geruch von Paraffinöl stieg ihr in die Nase. Ein Funke, und ihr Kopf würde zur Kerzenflamme werden. Sie strich tote Schmetterlinge aus ihrem Haar und warf die garstigen Dinger mit vollen Händen

Weitere Kostenlose Bücher