Die Vampire
einen Speichelfluss, zum Angriff ebenso wie zur Verteidigung bereit.
Vom Dach des Wagens her ertönte ein dumpfer Schlag. Sie blickte hinauf. Fünf gelbe Finger mit Nägeln wie gebogene Messer ragten durch das Holz. Sie krümmten sich wie knochengliederige
Würmer, und eine Faust riss rings um die Klappe einen Teil des Daches fort. Durch die splittrige Öffnung erblickte sie eine Falte gelber Seide. Ihr hüpfender Verfolger war zurückgekehrt. Ein runzliges Gesicht presste sich gegen das Loch und riss den Schlund auf, in dem sich mehrere Reihen von Lampretenzähnen verbargen. Er wurde größer und größer, bis die Wangen barsten und mit schimmernden Muskeln bewehrtes Zahnfleisch entblößten. Der Älteste schnatterte, seine Lippen schrumpften, und vereinzelte Barthaare entsprossen rohem, feucht glänzendem Fleisch.
Starke Klauen krallten sich in die Öffnung und brachen noch mehr Holz fort. Ganze Lagen gefirnissten Kutschholzes zerschellten jaulend wie eine gerissene Violinsaite.
Charles hatte den Stockdegen gezogen und suchte nach einer Gelegenheit, seinen Stoß anzubringen. Geneviève musste dem Feind entgegentreten, ehe Charles bei dem Versuch, sich als ihr Beschützer aufzuspielen, ums Leben kam.
Sie stieß sich mit aller Kraft vom Boden des Wagens in die Höhe, ergriff die Ränder des Lochs und zog sich hinauf. Sie brach durch den Spalt; die scharfen Kanten wurden stumpf an ihrer Haut und zerrissen ihr das gute Kleid. Der Wagen schaukelte unter dem Gewicht des Chinesen, der auf dem Kutschbock balancierte. Sie erblickte den Fuhrmann ein Dutzend Yards entfernt inmitten einer Ansammlung von Gaffern auf das Trottoir hingestreckt; er unternahm soeben einen halbherzigen Versuch, sich aufzurichten. Ein kalter Windstoß wehte ihr das Haar ins Gesicht und peitschte das Kleid um ihre Knie. Der Wagen krängte unter ihrer beider Last, nur das tote Pferd diente ihm als Anker.
»Herr«, richtete sie das Wort an den Vampir, »warum hadert Ihr mit mir?«
Der Chinese wandelte die Gestalt. Der Hals wurde ihm lang und länger, gliederte sich in stoppelbehaarte Insektenringe. Die
Arme, die aus seinen glockenförmigen Manschetten ragten, waren mehrfach gebeugt und hatten menschliche Hände, groß wie Paddel. Der Kopf auf seinem Schlangenhals pendelte hin und her, und ein meterlanger Ringelzopf schlang sich um seine Schultern. Der queue endete in einem mit dem Haarseil verwobenen Dornenknäuel.
Weich und stachelig in einem, streifte etwas ihre Wange. Ein spinnwebenes Geschling, das dem Gesicht des Vampirs entwucherte. Während sie auf seine Hände achtgegeben hatte, war er ihr mit seinen verwachsenen Augenbrauen zu Leibe gerückt. Haare wie Präriegras zerkratzen ihr die Haut. Ein Rinnsal tröpfelte über ihre Stirn. Das Wesen hatte es auf ihre Augen abgesehen. Sie ballte die Faust, holte mit dem Unterarm gegen die Brauenschlange aus und wickelte sie mehrmals um ihr Handgelenk. Sie zog fest daran; dünne Fäden durchschnitten ihre Ärmel und umfingen ihr Handgelenk, doch der Vampir war aus dem Gleichgewicht gebracht.
Während der Chinese vom Bock stürzte, riss er sie aus ihrer Hocke. Wie ein Fisch durchs Wasser glitt er durch die Luft und landete mühelos auf seinen gefederten Sohlen. Die Brauenschlange ließ von ihrem Arm ab. Mit den Füßen voran krachte Geneviève gegen eine Mauer. Dann stürzte sie aufs Pflaster. Der Aufprall hatte ihr die Knöchel gestaucht, und unter Schmerzen versuchte sie sich aufzurichten. Ihr Handballen versank in einer faulen Kohlkopfhälfte, sie glitschte aus und lag wiederum auf der Straße. Sie schmeckte Unrat. Vorsichtig erhob sie sich erst auf die Ellbogen, dann auf die Beine. Der Älteste hatte es mit einigem Geschick fertiggebracht, ihr wehzutun, was für gewöhnlich nicht ganz einfach war. Gegen seine Macht war sie schwach wie ein kleines Kind.
Sie stemmte den Rücken gegen die Mauer und sammelte ihre Kräfte. Ihre Haut spannte sich, und ihr Gesicht begann zu glühen.
Nägel und Zähne sprossen hervor, sprengten das Fleisch an Fingern und Kiefer. Sie schmeckte ihr eigenes Blut.
Sie befanden sich auf dem Markt, im schmutzigen Durchgang zwischen zwei Buden. Eine Reihe schwankender Rinderhälften säumte, an Eisenhaken baumelnd, den Fahrweg. Überall stank es nach dem Blut toter Tiere. Die Menge hatte einen Kreis gebildet, der den Ältesten zwar Platz zum Kämpfen einräumte, ihnen jedoch auch jeglichen Fluchtweg abschnitt.
Sie stieß sich von der Mauer fort und stürzte sich auf den
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