Die Vampirjaegerin - Till the End of Time
Natzuya. Wie es ihm wohl ging? Sie dachte aber auch daran, nein, vielmehr hoffte sie, ihm auf ihren Streifzügen nicht begegnen zu müssen; nicht, weil sie ihn nicht gerne wiedersehen würde, sondern weil sie Angst vor dieser Art der Konfrontation hatte. Dementsprechend unsicher huschte sie auf ihrem allerersten Streifzug durch die Nacht. Überall sah sie seinen Schatten oder bildete sich dies zumindest ein. Auch erschreckten sie, wie erwartet, vorbeifahrende Autos. Im Morgengrauen wieder daheim angekommen, selbst ohne einem einzigen Vampir begegnet zu sein, war sie zwar müde, aber trotzdem gestärkt und triumphierend ins Bett gefallen, um den Tag einfach zu verschlafen. Sie war endlich wieder zurück in ihrem bekannten Element. Sie wusste, dass es besser werden würde, wichtig war nur dieser erste Schritt gewesen. Ihr deutscher Mentor hatte immer gesagt, dass die Angst im Kopf der wahre Mörder sei, ihr müsse man sich stellen, immer wieder aufs Neue; und erst wenn man sie an die Leine gelegt habe, könne man gewinnen, und zwar alles.
Tatsächlich ging es mit Sayura spürbar bergauf, sie strotzte vor Selbstbewusstsein, Stolz, Kraft und Entschlossenheit und der lang vermissten Selbstsicherheit. Sie musste kaum noch an vergangene Ereignisse denken, geschweige denn erwachte sie schweißgebadet nach blutigen und düsteren Albträumen. An Natzuya dachte sie immer seltener. Abstand war gut in dieser Sache, es war eben eine Extremsituation gewesen, da fühlte man sich zu seinem Mitgefangenen eben schon einmal hingezogen. Das hatte sie doch selbst während ihrer Ausbildung so gelernt. Jetzt war alles überstanden. Sie war eine Jägerin und er eben ihre Beute, ein Vampir. Mehr nicht. Basta.
Dass die Theorie in der Regel immer von der Praxis abwich, hätte sie selbst am besten wissen müssen, wurde sie doch bald darauf eines Besseren belehrt.
Ihr Streifzug war in jener Nacht zu Ende, sie war bereits auf dem Heimweg. Wieder war es sehr ruhig gewesen, wieder hatte sie keinen Vampir gesehen, hatte keine Spur aufnehmen und verfolgen können. Irgendwie gefiel ihr das nicht, auch wenn sie insgeheim froh darüber war. War die Stadt plötzlich frei von Vampiren?
Schließlich nahm sie es so hin und bog in eine kleine Gasse ein, die sie direkt zum Park bringen würde. Vielleicht würde sie noch eine DVD schauen, während sie gemütlich im Bett frühstückte.
Die darauffolgende Begegnung war so überraschend wie ernüchternd, so banal und doch außergewöhnlich: Ein junges Paar stand verborgen in der Dunkelheit ineinander verschlungen und küsste sich leidenschaftlich. An sich keine erwähnenswerte Besonderheit, sie kamen vermutlich aus einem Club, hatten sich möglicherweise erst dort kennengelernt und gingen nun hier ihrer, durch Alkohol oder Drogen begünstigten Lust nach. Derartige Sachen hatte Sayura öfter erlebt, war an betreffenden Paaren unsichtbar und leise vorbeigehuscht, waren sie doch lediglich immer nur auf sich konzentriert, nicht aber auf ihr Umfeld. Anders jedoch dieses Paar dort: Sie sahen gleichzeitig zu Sayura hinüber, und die Zeit stand plötzlich still.
Sie erkannten sich vermutlich alle im selben Augenblick.
Natzuya löste sich von Lena, um sich schützend vor sie zu stellen. Diese schmiegte sich an ihn, flüsterte ihm irgendetwas leise ins Ohr und entschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen, in die Dunkelheit hinter Natzuya. Lena schritt langsam und überlegen davon.
Sayura hingegen stand einfach da, bleich und unentschlossen, ahnungs- und entscheidungslos, überrascht und enttäuscht zu gleich.
Da war sie nun, die gefürchtete Situation. Sie stand Natzuya jetzt ganz offiziell als Jägerin gegenüber; ihm, dem Vampir.
Als sie Lena davongehen sah, schrillten ihre Alarmglocken: Was, wenn die beiden einen Hinterhalt planten, Natzuya – der Köder, Lena – die ausführende Angreiferin?
Nein, so etwas würde Natzuya ihr nicht antun. Oder? Sie zweifelte.
Sayura sah ihn an. „Natzuya, schön, dich zu sehen. Ich wollte wegen neulich Abend noch etwas richtigstellen. Meine Gedanken, die du gelesen hast, waren nicht getreu den Worten, die ich sagte, aber jene Worte waren das, was ich wirklich, wirklich fühlte. Ich will dich nicht töten, dich nicht bekämpfen …!“ Jetzt war es raus, es war ihr die ganze Zeit so wichtig gewesen.
„Das interessiert mich nicht, Jägerin!“, knurrte Natzuya leise, distanziert.
„Natzuya …?“ Verwirrt wollte sie irgendeine Frage formulieren, wusste jedoch nicht
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