Die verbannte Braut (German Edition)
noch ein ganzes Leben vor sich gehabt. Sie war so winzig gewesen. So wunderschön. Roana war überführt worden, diese schreckliche Tat begangen zu haben und sie hatte gestanden. Sie würde wahrscheinlich zum Tode verurteilt werden. Doch es verschaffte Eve keine Genugtuung. Davon würde ihre Tochter nicht wieder kommen. Nichts konnte ihr über den Verlust hinweghelfen.
"Mylady?", erklang Emas sanfte Stimme.
Eve antwortete nicht. Sie fühlte sich noch immer so schwach, hatte sie selbst den Giftanschlag und die Fehlgeburt nur knapp überlebt. Zur Beerdigung und zu anschließenden Besuchen am Grab hatte man sie tragen müssen. Heute hatte sie den Weg vom Haus zum Grab zum ersten Mal ganz allein bewältigt.
"Es ist Brief gekommen, Mylady. Von Eurem Gatten."
Eve erstarrte. Wie lange hatte sie auf ein Lebenszeichen, eine Erklärung ihres Mannes gewartet. Und jetzt, wo sie ihr gemeinsames Kind verloren hatte, durch die Geliebte ihres Mannes, da fiel es ihm plötzlich ein, dass sie noch existierte.
"Ich will ihn nicht lesen."
"Mylady sollten aber. Es könnten sein wichtig."
Eve seufzte.
"Ich komme", sagte sie tonlos und erhob sich.
Eve setzte sich in den Sessel am Fenster und öffnete den Brief mit zittrigen Händen. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Würde er schreiben, dass er nie zurückzukommen gedachte? Oder das er schon unterwegs nach Hause war? Würde er erklären, warum er sie entführt und zur Ehe gezwungen hatte?
Ihr Herz klopfte, als sie das Papier auseinanderfaltete. Es dauerte eine Weile, ehe sie den Mut aufbrachte, den Brief, der in ihrem Schoß lag, zu lesen.
Liebe Henrietta,
ich schreibe Dir diese Zeilen, weil ich nicht sicher bin, ob ich Dir jemals persönlich sagen kann, was ich zu sagen habe. Ich liege mit einer schweren, tropischen Krankheit nieder und nutze einen der wenigen Momente, in denen das Fieber mich nicht fest in seinen tödlichen Klauen hält, um Dir diesen Brief zu schreiben.
Ich möchte Dir sagen, dass es mir aufrichtig leidtut, was ich getan habe. Ich weiß nicht, was genau zwischen Dir und meinem Bruder vorgefallen ist, doch ich bin mir jetzt sicher, dass es nicht so ist, wie ich es vermutet hatte. Ich war von meinem Hass so zerfressen, dass ich nichts anderes als meine Rache gesehen habe. Doch jetzt, nachdem ich genug Zeit hatte, alles zu reflektieren, bin ich zu der Ansicht gekommen, dass ich mich getäuscht haben muss. Ebenso, wie ich mich bezüglich Deiner Unberührtheit getäuscht hatte. Eigentlich hätte ich es schon damals erkennen müssen, als ich entdeckte, dass Du tatsächlich noch unberührt warst. Aber ich hätte es auch in Deinem ganzen Verhalten sehen können, dass keine Bosheit und keine Falschheit in Dir stecken.
Wenn ich doch nur alles wieder gut machen könnte, was ich Dir angetan habe. Ich wollte zu Dir zurückkehren und Dich um Vergebung bitten. Ich wollte versuchen, Dir ein guter Ehemann zu sein, doch dann hat mich dieses Fieber niedergestreckt und ich werde mit jedem Tag schwächer. Ich glaube, dass ich es nicht überleben werde.
Bitte, Henrietta, verzeih mir.
Wenn Dich die Nachricht über meinen Tod erreichen sollte, dann hoffe ich, dass kein Groll mehr gegen mich in Deinem Herzen sein wird.
Ich hoffe, dass Du einen besseren Mann findest, der Dich mit der Liebe und dem Respekt behandelt, den Du verdienst.
Ronan
Eve ließ den Brief in ihren Schoß fallen. Ihr wurde schlecht und sie musste würgen. Der Brief musste lange unterwegs gewesen sein. War ihr Gatte etwa bereits tot? Hatte sie nicht nur ihr Kind, sondern auch noch ihren Mann verloren? Sie hatte ihn gehasst dafür, dass seine Geliebte Schuld am Tod ihrer Tochter trug, doch nie hätte sie ihm den Tod gewünscht. Sie schloss die Augen, um gegen die Übelkeit anzukämpfen.
"Oh mein Gott! Oh mein Gott!"
Es klopfte an der Tür.
"Eve, Liebes, bist du okay?", ertönte die Stimme der Countess durch die Tür.
Als Eve nicht antwortete, trat
Margarete
unaufgefordert ins Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich und eilte auf Eve zu, die wie erstarrt in ihrem Sessel saß.
Margarete
kniete sich vor den Sessel und schaute sorgenvoll zu ihrer Schwiegertochter auf.
"Was ist passiert? – Sag doch etwas!"
Ohne ein Wort ergriff Eve den Brief und reichte ihn der Countess.
Margarete
nahm den Brief mit einem fragenden Blick entgegen und begann schließlich, die Zeilen, die ihr Sohn geschrieben hatte, zu lesen. Als sie geendet hatte, schaute sie mit blassem Gesicht zu Eve auf. Tränen glitzerten in
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