Die Verbannung
beschaffen.
»Ich kann dir kein gebratenes oder gekochtes Fleischstück herbeizaubern, höchstens irgendein Tier, einen Hasen vielleicht oder einen Truthahn. Töten und zubereiten musst du ihn dir aber selbst.«
Dylan blickte sich in der Zelle um, die nur schmutziges Stroh und einen Fäkalieneimer enthielt. »Ich könnte ihn ja mit bloßen Händen zerreißen und roh verspeisen...«, er gab einen angeekelten Laut von sich, »... nein, vielleicht lieber nicht.«
»Dann nimm das.« Sinann winkte mit der Hand, und plötzlich lag ein kleiner Käse in seinem Schoß.
Dylan brach ihn auseinander und probierte ein Stück. »Danke, Tink.« Nachdem er so viele Wochen von Brot und brackigem Wasser gelebt hatte, schmeckte der Käse köstlich.
Allmählich verlor die Zeit für ihn jegliche Bedeutung, er nahm nur am Rande wahr, dass das Wetter sich änderte. Der Winter lockerte seinen eisigen Griff, die Sonne kam häufiger zum Vorschein, und wieder erfüllte der Gestank der Edinburgher Kloaken die Luft. Obgleich die Nächte immer noch frostig waren, wurde es in Dylans kleiner Zelle jetzt schnell stickig, wenn die Sonne den ganzen Tag schien. Endlich betrat eines Morgens ein Rotrock die Zelle. Dylan sprang auf, weil er wusste, dass es noch nicht Essenszeit war. Irgendetwas lag in der Luft.
Der Soldat löste die Fußfessel, die an der Eisenstange hing und befestigte sie an Dylans freiem Knöchel. Seine Hände wurden mit Handschellen gefesselt, und dann wurde er unter Kettengeklirr durch die Tür in den Gang hinausgeschoben.
Dylan nahm an, dass man ihn jetzt zur Gerichtsverhandlung bringen würde, doch die Wächter führten ihn die Wendeltreppe hoch bis unter das Dach. Dort lag ein großer Raum mit schrägen Deckenbalken und einem Kamin an jedem Ende, in dem ein helles Kiefernholzfeuer brannte. Außerdem standen überall Kerzen in vielarmigen Leuchtern. Im Raum herrschte eine beinahe unerträgliche Hitze. In der Mitte befand sich ein mächtiger Eichentisch, darum herum waren hochlehnige Stühle angeordnet. Ferner gab es eine Anzahl kleinerer Tischchen an den Wänden. Anscheinend war dies eine Art Konferenzraum; er lag weit genug entfernt von den belebten Büros und dem Gerichtssaal in den unteren Stockwerken.
Am Ende des Tisches thronte Major Bedford. Vor ihm lagen Dylans Waffen, sein sporran und ein paar zusammengefaltete Papiere.
Dylan blieb an der Tür stehen. Ein entsetzliches Déjà-vu-Gefühl beschlich ihn und weckte Erinnerungen an jenen verhängnisvollen Tag in Fort William in ihm. Unwillkürlich blickte er sich suchend um; überlegte, wo man ihn wohl festbinden und auspeitschen würde, stellte aber erleichtert fest, dass nirgendwo Schlingen oder eiserne Ringe an der Wand zu sehen waren. Etwas verspätet fiel ihm ein, dass man ihn wohl kaum hierher gebracht hatte, um ihn zu foltern; seine Schreie wären fast in der ganzen Stadt zu hören gewesen. Was aber tat er dann hier?
Bedford befahl dem Rotrock: »Nehmt ihm die Fesseln ab, und dann lasst uns allein. Wartet draußen auf der Treppe.« Der Soldat gehorchte und schloss leise die Tür hinter sich.
Lange herrschte Stille, während die beiden Männer sich abschätzend musterten. Dylan hätte gerne seinen von der Fußfessel wund gescheuerten Knöchel untersucht, hielt es aber für geraten, sich nicht von der Stelle zu rühren. Endlich ergriff Bedford das Wort. »Ihr wart ein ziemlich unartiger Junge, Matheson.«
Dylan gab keine Antwort. Auch Sinann verhielt sich ungewöhnlich still. Sie stand links neben Dylan und starrte Bedford an. Dylans Unbehagen wuchs. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Bedford deutete auf einen Punkt hinter Dylan. Er drehte sich um und fand auf einem der Tische in der Ecke einen Wasserkrug, eine Waschschüssel, ein Leinentuch und ein paar Kleidungsstücke vor. »Ich schlage vor, Ihr wascht Euch erst einmal«, schnarrte Bedford mit einem leichten Naserümpfen. »Mir wäre es jedenfalls sehr lieb. Ihr riecht etwas streng.«
Dylan blieb stocksteif stehen und starrte Bedford nur durchdringend an. »Was wollt Ihr von mir? Ihr hattet Ramsay doch schon in Gewahrsam. Wenn Ihr ihn laufen lasst, ist das nicht mein Fehler.«
Bedford holte tief Atem. »Ramsay ist tot.«
Das kam für Dylan vollkommen überraschend. Er wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen.
»Er wurde am 1. Februar bei einem Fluchtversuch getötet«, fuhr Bedford fort. »Nun gibt es einen Verräter weniger in unserer Mitte.«
Eine ganze Reihe von Fragen schoss Dylan
Weitere Kostenlose Bücher