Die Verbindung: Thriller (German Edition)
Carlyle lächelte. »Interessant« war keine Polizeivokabel. Er wusste bereits, welche Richtung das Gespräch nehmen würde. Sein Verstand zog sich zusammen, und er spürte das Bedürfnis, das Telefonat zu beenden.
»Wenigstens muss er besser sein als der Mist, mit dem du dich in letzter Zeit herumgeschlagen hast.«
»Ich bin sicher, dann fühlt sich Mr Blake besser.«
»Wer?«
»Das Opfer.«
Aus irgendeinem Grund ließ sie das Wort »Opfer« erstarren. »Es ist nicht deine Schuld, dass er tot ist.«
»Nein, das weiß ich«, sagte Carlyle sanft. Er wollte vermeiden, seine Frau zu reizen. Dafür war später noch jede Menge Zeit, und er wollte im Moment nicht zu allem Überfluss noch zu Hause Ärger haben. »Es ist nur so, dass meine höhere Zufriedenheit am Arbeitsplatz für ihn kein echter Lichtblick ist, nicht wahr?«
Sie dachte einen Moment darüber nach, und die Nervosität wich aus ihrer Stimme. »Ihm wird es so oder so nicht viel ausmachen, aber es sollte wenigstens für dich interessant sein. Etwas, das ein bisschen mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht?«
»Wir werden sehen.« Diese Unterhaltung führten sie öfter. Es ärgerte ihn, dass sie unweigerlich mehr von seinem Job verlangte als er.
»Du weißt, was ich meine«, sagte sie, und nur ein Anflug von Schärfe kroch wieder in ihre Stimme.
»Natürlich weiß ich das«, pflichtete er ihr rasch bei. Ein Job war immer nur ein Job, ob man Dealer oder Postbote war, Pornostar oder Priester. Wenn man Polizist war, wurde es besser, wenn es schlimmer wurde.
Helen klang nun wieder sanfter. »Wie geht es dir?«
Er akzeptierte das Friedensangebot. »Mir geht’s gut.«
Das war eindeutig so viel Zeit, wie sie damit verbringen wollte, Carlyle in die richtige Stimmung zu bringen. »Wie dem auch sei«, sagte sie schließlich, »was ist mit heute Morgen?«
Heute Morgen? Carlyle spürte, wie ihn leichte Besorgnis ergriff. Was hatte er jetzt vergessen? Er versuchte, gelassen zu bleiben. »Was soll damit sein?«
Helen machte eine Pause. »Bist du trotzdem in der Lage, Alice zum Barbican zu bringen? Du weißt, ich habe heute Morgen ein wichtiges Treffen im Büro.«
Carlyle stöhnte und sank auf das Bett zurück, als ihn häusliche Probleme einholten. Heute war eigentlich sein freier Tag. Heute Morgen war eigentlich er damit dran, seine Tochter in die Schule zu bringen. Er hatte sich vor einigen Wochen dazu verpflichtet. Er hatte alle üblichen Vorbehalte angebracht, aber Helen zog es immer vor, sie zu ignorieren. Sein Preis als Vater der Woche war in der Post.
Helen brachte Alice normalerweise selbst in die Schule, bevor sie kehrtmachte und quer durch die Stadt nach Paddington zu dem internationalen medizinischen Wohlfahrtsverband Avalon fuhr, in dem sie als leitende Verwaltungsangestellte arbeitete. Carlyle wusste, dass sie auf diese Weise zwei bis drei Stunden am Tag damit verbrachte, hin und zurück durch die Stadt zu gurken. Das war beschissen, ließ sich aber nicht vermeiden. Deshalb musste er seinen Teil beitragen.
Heute Morgen, erinnerte sich Carlyle dunkel, musste Helen sich mit einem sehr unerfreulichen Disziplinarverfahren befassen: irgendetwas mit einem Arzt, der angeblich eine Kollegin sexuell missbraucht hatte. Diese Art von Problem war in Organisationen wie dieser nicht unüblich. Anscheinend zogen sie mehr als genug Leute an, die sich unter dem Deckmantel liberaler Empathie versteckten, um entweder ihre Mitarbeiter oder die Einheimischen zu missbrauchen, ausgerechnet die Menschen, denen sie eigentlich helfen sollten. Carlyle war schockiert gewesen, als seine Frau ihm zum ersten Mal davon erzählte. Bei genauerem Nachdenken ergab es allerdings durchaus Sinn. Wo würde man sonst ein besseres Verhältnis von Gelegenheit und Risiko finden?
Wie um alles in der Welt man hoffen konnte, Aufschluss zu erhalten über etwas, was sich zwischen zwei Menschen auf halber Höhe eines Bergs in Afghanistan abgespielt hatte oder nicht, geschweige denn irgendwas daran zu ändern, ging über seinen Verstand. Es war schwer genug, mit solchen Fällen in London umzugehen: Die Quote der Strafanzeigen war erbärmlich und die der tatsächlich erfolgten Verurteilungen war viel, viel schlechter. Daher war es unmöglich einzusehen, wie seine Frau hoffen konnte, diesem besonderen Minidrama jemals auf den Grund zu gehen. Die ganze Sache schien ihm eine Übung in liberalem Masochismus zu sein, aber er wusste sehr wohl, dass er solche Gedanken besser für sich
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