Die Verbindung: Thriller (German Edition)
gut. Carlyle schaute sich in die Augen und hielt seinem Blick mehrere Sekunden lang stand. Er war sich durchaus bewusst, dass er sich oft ziemlich unwohl in seiner Haut fühlte, aber nicht heute Morgen. Jetzt war nicht die Zeit für diesen introspektiven Blödsinn. Trotz seiner Müdigkeit fühlte er sich gut. Nicht schlecht für jemand, der die ganze Nacht auf den Beinen war, dachte er. Zumindest nicht schlecht für jemanden in meinem Alter, der die ganze Nacht auf den Beinen war.
Nachdem er einen halbherzigen Versuch unternommen hatte, die Reste seines Frühstücks aufzuräumen, rollte Carlyle den Servierwagen in den Flur und ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Tür zu 329 war ebenfalls geschlossen und mit weißblauem Klebeband am Rahmen rundherum versiegelt. Die Polizei würde das Zimmer mindestens noch ein paar Tage belegen, während die Ermittlungen ihren Fortgang nahmen. Es könnte sogar eine Woche oder mehr dauern, bis das Hotelpersonal die Erlaubnis bekäme, es zu reinigen, aber angesichts der Wirtschaftslage und der derzeitigen Auslastungwäre das wirklich kein großes Problem. Carlyle warf noch einen abschließenden Blick durch den Flur, bevor er aufbrach. Still und dunkel, wie er war, sah er genauso aus wie fünf Stunden zuvor, als er ihn zum ersten Mal betreten hatte.
Während er zu den Aufzügen ging, rief Carlyle eine neue Nummer in seinem Handy auf und drückte auf die Ruftaste. Er hörte ein Klicken und wartete auf die unvermeidliche Mailbox. Nach dem Piepton hinterließ er eine Nachricht: »Joe, es ist kurz nach sieben. Wstawaj ty leniwy draniu! Steh auf, du fetter, fauler Mistkerl. Wir haben einen neuen Fall. Wenn du endlich aus dem Bett steigst, werden sie dich in der Station aufklären. Kannst du mich danach anrufen? Alles ist unter Kontrolle, weshalb ich jetzt den Tatort verlasse. In ein paar Stunden bin ich wieder in Charing Cross. Dann können wir uns ja zusammensetzen. Ansonsten könnten wir im Il Buffone zu Mittag essen. Sieh doch in der Zwischenzeit zu, ob du nicht die naheliegenden Dinge recherchieren willst, insbesondere ob es irgendwelche offenen Fälle gibt, wo das Opfer als Dreingabe ein Messer im Arsch stecken hatte. Das wäre toll. Grüß Anita und die Kids von mir. Bis später.«
Zehn
Shepherds Bush, London W12, März 1985
Carlyle saß zusammengesackt auf dem Sofa und versuchte, Barbara Edwards, das Playmate des Jahres 1984, zu ignorieren, das ihm von dem abgegriffenen Playboy -Heft neben seinen Füßen auf dem gläsernen Couchtisch zuzwinkerte. Schweren Herzens wandte er den Blick von Barbaras unglaublich vorwitzigen Brüsten ab und richtete ihn auf ein Poster des Fußballspielers Clyde Best von West Ham United, das an der Wand hinter dem Fernseher hing, und dann auf den Bildschirm, der die Mittagsnachrichten der BBC zeigte. Die deprimierten Gesichter gaben zu erkennen, dass der Streik der Bergarbeiter endlich, offiziell und glücklicherweise vorüber war. Es war ein langes, langsames Sterben gewesen, und von den Männern, die wieder zur Arbeit trotteten, waren nur noch die schwächsten Schreie des Widerstands zu hören. Nachdem sie den Krieg verloren hatten, wussten sie, dass sie auch während des anschließenden Friedens mit einer langsamen, erbarmungslosen Niederlage zu rechnen hatten.
Andererseits feierte die Polizei auch keinen Sieg, weil viele Beamte es genossen hatten, aus der häuslichen Routine auszubrechen, den Kameradschaftsgeist und die Aufregung der physischen Auseinandersetzung zu erleben. Noch mehr von ihnen hatten sich an den Überstundenlohn gewöhnt. Jetzt war die Rückkehr zu den Grundlagen des normalen Lebens angesagt.
Wenigstens hatten sie ein Leben, dachte Carlyle trübsinnig, zu dem sie zurückkehren konnten. Das konnten nicht alle Polizisten von sich behaupten. Vor ein paar Tagen hatte die Irisch-Republikanische Armee eine Polizeistation in Newry in die Luft gesprengt. Neun Kollegen von der Royal Ulster Constabulary waren getötet worden. Nordirland war weit weg, aber die IRA griff auch regelmäßig Ziele in London an. In den vergangenen Jahren hatte es immer wiederSprengstoffanschläge in der Stadt gegeben, und bei dem letzten, einer Autobombe neben dem Kaufhaus Harrods im Dezember 1983, waren sechs Unschuldige getötet worden. Es schien gefährlicher denn je, Polizist zu sein.
Die Terroristen waren vielleicht nicht geschlagen, aber wenigstens die Bergarbeiter waren es. Carlyle war seit Weihnachten nicht mehr in Yorkshire im Einsatz gewesen, und
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