Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Yandao.«
»Yandao! Was ist passiert? Wo sind Sie? Wann besuchen Sie uns?«
»Nichts. In der Nähe. Morgen«, antwortete er lachend.
»Bitte?«
»Ich habe nur auf Ihre Fragen geantwortet: Es ist nichts passiert, ich bin in Khotan und ich würde Sie gern morgen Abend besuchen.«
»Warum erst morgen? Kommen Sie doch gleich herüber.«
»Ich habe ein Zimmer genommen und werde bald schlafen gehen. Die Fahrt von Kashgar war anstrengend, und ich bin todmüde. Außerdem habe ich noch berufliche Dinge zu erledigen.«
»Aber morgen schlafen Sie bei uns. Am besten bleiben Sie gleich ein paar Tage.«
»Nichts lieber als das, aber ich möchte Ihnen und Ihrer Familie keine Umstände machen.«
Batügül lachte. »Ich bin eine Frau der schnellen Entscheidungen. Meine Leute haben sich daran gewöhnt. Außerdem machen Sie uns keine Umstände, im Gegenteil. Was gibt es Schöneres, als liebe Gäste im Haus zu haben?«
»Dann komme ich mit Sack und Pack. Wie finde ich Sie?«
»Gar nicht. Mein Mann holt Sie um sechs Uhr ab. In welchem Hotel sind Sie?«
»Jiaotong Binguan.«
»Was für ein Zufall.«
Li Yandao ignorierte ihre Anspielung. »Ich warte vor dem Hotel.«
»Gut. Bis morgen dann. Und viel Erfolg.«
Sie beendete das Gespräch. Li Yandao zog sich seine warme Jacke an und ging auf die Straße. In welchem Restaurant mochte Ma Li Huo gegessen haben?
Da das Wasser nicht warm wurde, ging er ungewaschen ins Bett. Es war niemand da, der sich über seinen Geruch beschweren konnte. Er dachte an Ma Li Huo. Was er der Rezeptionistin erzählt hatte, war natürlich Unsinn. Er hatte seine Ermittlungen nur vorgeschoben. Er war ein sentimentaler Spinner, und das war der einzige Grund, warum er Ma Li Huos Zimmer haben wollte. Es war tröstlich zu wissen, dass Marion in diesem Bett geschlafen hatte. Na ja, dachte er fatalistisch, wahrscheinlich hat sie das andere Bett benutzt.
* * *
Am nächsten Morgen stand Li Yandao erst um zehn Uhr auf und fuhr direkt zum Polizeihauptgebäude von Khotan. Wie er Wei Weidian kannte, würde er ihr Treffen ohnehin als Vorwand für ein zweites Frühstück nutzen.
Li Yandao sah seinen vor dem Eingang des Polizeigebäudes wartenden Kollegen bereits von weitem. Er war klein, wog aber mindestens fünfundzwanzig Kilo mehr als Li Yandao; Kommissar Weis Passion für gutes Essen war unter seinen Kollegen und Freunden legendär. Und auch sein Fassungsvermögen, dachte Li Yandao amüsiert, als er seinen Wagen vor ihm zum Stehen brachte. Wei Weidian hatte ihn nicht bemerkt und blickte ungeduldig die Straße auf und ab.
Li Yandao kurbelte das Fenster herunter. »He, Weidian. Erkennst du mich nicht mehr?«
Kommissar Wei sah irritiert erst auf Li Yandao, dann auf das Auto. »Was ist das?«
»Mein Dienstwagen.«
»Ist der bei Ausgrabungen ans Tageslicht gezerrt worden?«
Kopfschüttelnd umrundete er den Shanghai Saloon und rutschte auf den Beifahrersitz.
»Yandao, mein Lieber, schön, dich zu sehen. Wie lange ist es her?«, fragte er und schlug Li Yandao freundschaftlich auf die Schulter.
»Zweieinhalb Jahre. Wo wollen wir frühstücken?«, fragte Li Yandao und versuchte, das klemmende Fenster wieder zu schließen. Nach etlichen Versuchen gab er genervt auf.
»Die Straße runter, dann die zweite rechts. Ich dirigiere dich.«
Li Yandao parkte direkt vor dem Restaurant, das Weidian ausgesucht hatte. Der dicke Kommissar rieb sich voller Vorfreude die Hände, als er durch die Tür in einen einfach eingerichteten Raum trat.
Eine mürrische Chinesin in den Vierzigern erhob sich und wischte ihre Handflächen an einer fleckigen Schürze ab. Als sie Weidian sah, erhellte sich ihr Gesicht. Der Tag war gerettet: Der Kommissar bedeutete guten Umsatz. Sie führte die beiden in einen kleinen Nebenraum. Weidian enttäuschte sie nicht und bestellte ein Festmahl.
»Du willst den Kanalröhren-Fall wiederbeleben?«, fragte Weidian, als sie ungestört waren.
»Hmm. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir noch eine Chance haben, den Mörder zu fassen. Es ist zu lange her, und alle Spuren haben ins Leere geführt. Behalt es für dich: Ich habe den Fall als Ausrede für einen Tapetenwechsel benutzt. In Kashgar herrscht gähnende Langeweile. Kein Mord, kein Raubüberfall, und auch sonst ist es ruhig. Ich will Freunde in Khotan besuchen, und da ich schon mal hier bin, kann ich genauso gut den Eltern des Ermordeten auf den Zahn fühlen. Vielleicht gibt es doch noch einen Hinweis.«
»Dein Optimismus ist grenzenlos. Diese
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