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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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geometrisches Muster, das Marion an griechische Mäandermuster erinnerte, überzog die Mähne. Die Vorderläufe des Pferdes deuteten eine Sprungbewegung an, die trotz des reduzierten Stils sehr lebendig wirkte.
    Marion nahm die Figur heraus. Die Jade war so perfekt poliert, dass es schien, als würde das Licht bis unter ihre Oberfläche dringen und die wolkigen Einschlüsse in den Tiefen des Steins in eine weiche, träge Wellenbewegung versetzen. Fasziniert drehte Marion die Figur hin und her. Bei jeder noch so winzigen Änderung des Winkels bildeten die fast unsichtbaren Einschlüsse neue Muster. Es war, als würde das zerbrochene Pferdchen gleich zum Leben erwachen und seine Geschichte erzählen. Eine lange Geschichte, durch die Karawanen und Armeen marschierten, in der Städte entstanden und versanken, von schwarzen Stürmen zu Staub zerblasen … In einem bunten Wirbel zogen lanzenbewehrte Krieger und schöne chinesische Frauen mit fantastischen Seidenroben an Marions innerem Auge vorbei, sie sah flatternde Fahnen, bunt verzierte Tempel, nervös tänzelnde Pferde und Kamele mit weichem, braunem Fell, stoisch einen dickbesohlten Fuß vor den anderen setzend, auf dem Weg in entlegene Länder.
    Marion lächelte in sich hinein. Ihre Fantasie galoppierte mal wieder mit ihr davon. Vielleicht war das seltsame Jadepferd ja noch gar nicht so alt, wie es den Anschein hatte. Sie drehte es um. Die Rückseite war bis auf zwei in die Oberfläche geritzte Zeichen schmucklos.
    Leider befand sich die andere Hälfte der Figur nicht in dem Kästchen, sondern nur ein Dutzend unscheinbarer Bambusstäbchen, die Marion sofort wieder zurücklegte, während sie sich von dem Jadepferd kaum losreißen konnte.
    Marion hatte vier Semester Kunstgeschichte studiert und erkannte, dass dieses kleine Jadepferd die Arbeit eines außergewöhnlich begabten Künstlers war. Spontan verspürte sie den Wunsch, die Figur zu behalten.

    Es war schon fast neun Uhr abends, als Marion ins Seman-Hotel zurückkehrte. Sie hatte Hunger und ging über den Hof in das Café des Hotels, wo eine größere Gruppe Touristen sich zwei Tische zusammengeschoben hatte. Marion setzte sich ungefragt zu ihnen, sie brauchte dringend Gesellschaft. Die Touristen machten bereitwillig Platz, und es stellte sich heraus, dass die meisten sich auch erst an diesem Abend kennengelernt hatten. Je abgelegener die Gegend, desto unkomplizierter waren die Umgangsformen. Die Gruppe am Tisch hatte viel Spaß, und Marion vergaß vorübergehend sogar die Ereignisse in der Baugrube. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in China war sie entspannt.
    Sie verabschiedete sich trotz ihrer Müdigkeit erst gegen Mitternacht von den anderen. Als sie auf den scheußlichen Anbau zuging, in dem sie wohnte, ließ sie ihren Blick auf der Suche nach ihrem Zimmerfenster an der gekachelten Fassade hochschweifen.
    In ihrem Zimmer brannte Licht. Marion stutzte. Sie hatte das Hotel bei Tageslicht verlassen und kein Licht angemacht. Sie zählte die Fenster. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht, und ihres war das Nachbarzimmer. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, ging sie ins Haus.

    Das Zimmer sah aus, als hätte jemand seine Wut an ihm ausgelassen. Ihre Sachen waren im gesamten Raum verstreut, und eine der Schubladen des Schreibtischs lag mit der Unterseite nach oben neben dem abgewetzten Sessel. Der Sessel selbst war aufgeschlitzt worden. Der Einbrecher hatte die Betten verschoben und die Matratzen heruntergezerrt. Es dauerte mehrere Minuten, bis Marion ihre zitternden Beine so weit unter Kontrolle hatte, dass sie das Zimmer betreten konnte. Sie sank auf den geschändeten Sessel. Worauf hatte es der Einbrecher abgesehen?
    Ihren Pass, die Kreditkarte, das Geld und das Rückflugticket trug sie grundsätzlich bei sich, und alles andere war für einen Dieb eher uninteressant. Ihren wertvollsten Besitz, ein Paar abgetragene Wanderstiefel, entdeckte sie unter einem der Betten, und der teure Wasserfilter lag zwischen ihrer Kleidung. Sie kniete sich auf den Boden und ging ihre Sachen Stück für Stück durch. Nach wenigen Minuten war sie überzeugt, dass nichts fehlte.
    Marion kauerte ratlos zwischen den Betten. Der Zustand des Raums sprach nicht dafür, dass sich der Einbrecher zufällig ihr Zimmer ausgesucht und rasch ihre Besitztümer durchsucht hatte. Es war seltsam: erst der Fund der Leiche, nun der Einbruch. Alles in Marion sträubte sich, die beiden Vorfälle miteinander zu verknüpfen, aber sie

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