Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
seinem Leben schiefgelaufen war, und er hätte es vorgezogen, den Mann niemals wiederzusehen. Dummerweise hatte er keine Wahl. Er war abgebrannt, und ihm war keine andere Person eingefallen, an die er sich wenden konnte. Er hatte keine Freunde.
Ein Mofa überholte ihn und hielt wenige Meter entfernt.
»Hallo, Yakub«, begrüßte ihn der Fahrer ohne Enthusiasmus. »Was führt dich hierher?«
Yakub erkannte den Mann, der ungefähr in seinem Alter war, nicht wieder. Er hatte sein Heimatdorf vor mehr als acht Jahren verlassen, und bei seinem kurzen Besuch vor anderthalb Jahren, nach der Geschichte mit der einfältigen Aisha, hatte er mit niemandem gesprochen.
»Das geht dich nichts an«, knurrte er.
»Höflichkeit war nie deine Stärke«, bemerkte der Mann auf dem Mofa bissig. »Aber ich will die Regeln der Gastfreundschaft nicht mit Füßen treten: Steig auf, ich bringe dich zum Dorf.«
»Ich gehe lieber zu Fuß.«
»Bitte, dann geh zu Fuß und lass dir das Hirn von der Sonne kochen«, sagte der andere gleichgültig und startete sein Mofa. Ohne sich noch einmal umzudrehen, fuhr er in einer Staubwolke davon.
Yakub hustete und zog eine Zigarette aus seiner Hemdtasche. Als er sie anzündete, hustete er noch mehr. Angewidert trat er die Zigarette in den Staub. Es wurde Zeit, dass er wieder Geld in die Finger bekam und nicht mehr dieses billige Zeug zu rauchen brauchte. Er setzte sich zögernd in Bewegung. Bis zum Dorf war es nicht mehr weit.
Als er eine halbe Stunde später vor der hellgrünen Tür stand, die in den Hof seiner Familie führte, sank ihm das Herz erneut. Sein Vater würde ihm kein Geld geben, er hatte es beim letzten Mal deutlich genug gesagt. Noch hatte er die Möglichkeit, einfach zurück nach Khotan zu wandern und sich dort eine Arbeit zu suchen. Prüfend ertastete er in seiner Hosentasche acht oder neun Geldscheine. Es waren nur Ein-Yuan-Noten, gerade genug, um sich ein Abendessen und eine Flasche Bier zu leisten. Die Busfahrt von Urumqi nach Khotan hatte seine Reserven aufgebraucht. Er saß in der Falle und musste sich seinem Vater stellen.
Die Tür öffnete sich nach dem zweiten Klopfen.
»Warum hast du so lange getrödelt? Was willst du?«
Yakub prallte zurück. Sein Vater stand in der Hoftür, größer und breiter als er selbst, die Augenbrauen gerunzelt, so dass die tiefe Zornesfalte von der Nasenwurzel bis zum Haaransatz seine Stirn in zwei Hälften teilte. Er musterte seinen Sohn kalt von Kopf bis Fuß.
»Woher wusstest du …«
»Dein Cousin hat dich auf dem Weg gesehen.«
Also war der Mann auf dem Mofa der Sohn seines Onkels gewesen. Als Kinder hatten sie manchmal zusammen gespielt, aber das hörte auf, als ihre Väter entschieden, dass sie alt genug waren, um auf den Feldern zu arbeiten. Yakub war damals neun Jahre alt gewesen, sein Cousin acht. Ihre Leistungen in der Schule wurden immer schlechter, aber das interessierte außer der Lehrerin niemanden. Sein Vater und dessen Brüder glaubten nicht an Bücher. Mit zwölf hörte Yakub auf, seine Zeit im Klassenzimmer zu verschwenden, wie sein Vater es ausdrückte.
»Ich habe Pech gehabt und möchte hier wohnen«, sagte Yakub eingeschüchtert. Dann fügte er trotzig hinzu: »Ich habe ein Recht, hier zu sein.«
»Du hast also ein Recht, hier zu sein«, wiederholte sein Vater lauernd.
Die heftige Ohrfeige traf Yakub völlig unvorbereitet, und er taumelte zu Boden.
»Du wirst dich an meine Regeln halten, verstanden? Hör auf zu winseln und komm rein.«
Yakub rappelte sich hoch und folgte seinem Vater gehorsam wie ein geprügelter Hund.
»In den Zimmern ist kein Platz für dich«, sagte Siddiq, als sie in den Hof traten. Er wies in eine Ecke. »Du kannst auf der Veranda schlafen und die Gelegenheit nutzen, dort aufzuräumen.«
Yakub schlich zu dem ihm zugewiesenen Platz, stellte seine Tasche ab und blickte sich um. Seine Mutter stand in der Küchentür und sah zu ihm herüber, klein und verhärmt, ausgezehrt von acht oder neun Schwangerschaften und der nicht zu bewältigenden Aufgabe, ihre Kinder großzuziehen und es ihrem Mann recht zu machen. Sobald sein Vater den Hof durch eine Hintertür verlassen hatte, winkte Yakub zu seiner Mutter hinüber. Ein zaghaftes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Seine Mutter sah aus wie eine Greisin, dabei war sie gerade erst fünfzig Jahre alt.
Das Lächeln erlosch, als ihr Mann zurückkehrte.
»Was stehst du herum?«, herrschte er sie an. »Dein Sohn will sich bei uns dick und rund füttern
Weitere Kostenlose Bücher