Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
von CITS waren hilfsbereit, und zehn Minuten später stand Marion wieder auf der Straße.
Bis sie am nächsten Tag ihr Visum abholen konnte, hatte sie nichts zu erledigen. Sie suchte sich ein kleines Café in einer Seitenstraße und blätterte unschlüssig in ihrem Reiseführer. Die meisten Sehenswürdigkeiten der Stadt hatte sie bereits während ihrer letzten Besuche abgeklappert. Zum Shoppen, der Hauptbeschäftigung aller Hongkonger und Touristen, fehlte ihr die goldene Kreditkarte.
Marion gähnte. Der lange Flug und die Zeitverschiebung machten sich bemerkbar, aber sie durfte jetzt nicht schlafen. Wenn sie bis zum Abend durchhielt, hatte sie den Jetlag morgen überwunden. Sie entschied sich, mit den öffentlichen Bussen kreuz und quer durch die Stadt zu fahren und einfach dort auszusteigen, wo es interessant aussah.
* * *
Etwa zur selben Zeit, als Marion durch die Straßenschluchten Hongkongs fuhr, suchte Nikolai im Eingang eines modernen Hochhauses Schutz vor den eisigen Schneeböen, die der Wind durch die Straßen Tashkents, der Hauptstadt Usbekistans, trieb. Mit klammen Fingern zog er sein klingelndes Handy aus der Tasche und nahm das Gespräch an.
»Hallo, Igor. Haben sich die Wogen geglättet?«, fragte er, als sich sein Gesprächspartner zu erkennen gegeben hatte.
»Einigermaßen. Die Polizei tappt im Dunkeln. Die Entführung ist noch in den Schlagzeilen, aber niemand hat eine Verbindung zu dem Einbruch hergestellt. Ehrlich gesagt, diese beiden Frauen sind mir ein Rätsel. Warum lügen sie die Bullen an?«
»Sie sind aus härterem Holz geschnitzt, als ich dachte. Und vergiss den Sinologen nicht. Der respektable Professor hat der Polizei auch nicht alles erzählt. Marion Reuter und ihre Freunde sind mittlerweile so tief in die Geschichte verstrickt, dass sie es sich nicht mehr leisten können, die Polizei einzuschalten. Uns kann es nur recht sein.«
»Die Leute sehen zu viele Indiana-Jones-Filme«, bemerkte Igor. »Die Polizei wird den Einbruch bald zu den Akten legen. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Sinologe auf dem Weg der Besserung ist. Es ist zu dumm, dass ich die Sachen nicht holen konnte. Der Safe war eine böse Überraschung.«
»Es ist nicht zu ändern. Ich hätte das Geld gut brauchen können. Du sicherlich auch.«
»Und ob. Was hast du nun vor? Die Sache vergessen?«
»Leider ja. Die ganze Angelegenheit ist zu heiß geworden; viel zu viele Leute sind involviert. Im Grunde war schon alles zu spät, als Marion Reuter die Figur nach Deutschland brachte. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal eine Chance bekommen, an das Pferd heranzukommen – ich kann mich jedenfalls in Deutschland fürs Erste nicht blicken lassen.«
»Nein, das kannst du tatsächlich nicht. Wo bist du gerade? In Usbekistan?«
»Ja, in Tashkent. Übernächste Woche fliege ich nach Xi’an, um mit dem Professor ein neues Projekt zu besprechen.«
»Du kannst nicht über mangelnde Arbeit klagen.«
»Nicht, solange es Leute gibt, die mehr Geld haben, als sie ausgeben können.«
»Falls du meine Hilfe benötigst: Ich bin jederzeit für dich da.«
»Danke. Ich werde an dich denken.«
»Das will ich doch hoffen. Bis bald, Nikolai.«
»Bis bald.«
Nikolai hatte gerade die Verbindung unterbrochen, als das Handy erneut klingelte.
»Ja?«
»Hier ist Zu’en.«
»Zu’en? Wie geht es dir?«
»Mamahuhu.«
»Mir geht es auch nicht gerade gut. Hat der Professor dich schon über die Pleite mit der Pferdefigur informiert?«
»Ja, hat er. Nikolai, kannst du sofort nach Xi’an kommen?« Zu’en klang aufgewühlt.
»Was ist los?«
»Eine Menge. Schaffst du es bis morgen?«
»Ich kann es nicht versprechen, aber normalerweise gibt es immer noch einen Platz in der Businessclass. Du hörst dich beunruhigt an. Bist du in Schwierigkeiten?«
»Wie man’s nimmt. Ich erkläre es dir, sobald du da bist. Und – kein Wort zum Professor.«
»Was …?«
»Vertraue mir einfach, dass es wichtig ist.«
»Wem sollte ich vertrauen, wenn nicht dir? Bis morgen.«
* * *
Wie jeden Abend hatten sich Hunderte von Menschen vor dem Cultural Centre auf der Südspitze Kowloons versammelt – direkt an der Meerenge, die das Festland von Hongkong Island trennt –, um die Dämmerung über den himmelhohen Bürotürmen der Insel zu feiern. Marion fand eine freie Bank und beobachtete, wie sich der Himmel erst rosa verfärbte, um dann schnell ein tiefes Violett anzunehmen. Die ersten Leuchtreklamen strahlten von der Insel herüber, und
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