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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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drohend der Koloss der Chungking Mansions. Nur zwei oder drei der Fenster waren erleuchtet. Sie sah keine Flammen, aber der Brand konnte auch in einem der Blöcke dahinter ausgebrochen sein. Die Feuerwehr war noch nicht erschienen, und sie hörte auch keine Sirenen. Auf der Straße war niemand zu sehen. Ein Auto näherte sich, aber als sie es anhalten wollte, hupte der Fahrer nur und setzte seinen Weg fort. Marion war verzweifelt. Wenn sie nicht bald einen Passanten mit einem Handy fand, würde es eine Katastrophe geben.
    Jemand tippte auf ihre Schulter. Marion fuhr erschrocken herum. Vor ihr standen die beiden Afrikaner, an denen sie vorbeigelaufen war.
    »Haben Sie ein Telefon?«, rief sie, erleichtert, einen Menschen zu sehen.
    »Ja, habe ich«, sagte der Afrikaner verwundert. »Was machen Sie hier? Sie sind ja völlig außer sich.«
    »Es brennt! Schnell, rufen Sie die Feuerwehr an«, stieß Marion hervor. Ihr Atem ging schwer.
    »Ruhig, ruhig. Immer der Reihe nach: Wo brennt es?«
    »Die Chungking Mansions! Das Haus brennt!«
    Der Afrikaner verlor seine Ruhe nicht. »Wie kommen Sie darauf?«, fragte er.
    »In meiner Pension ist der Feueralarm losgegangen. Im Block C.«
    »Es brennt nicht. Hier im Haus geht der Alarm fast jede Nacht in einer der Wohnungen los.«
    Marion riss die Augen auf. »Es brennt nicht? Falscher Alarm? Sind Sie sicher?«, fragte sie entgeistert.
    Der Afrikaner nickte bestätigend.
    »Und die Leute schlafen einfach weiter?«
    »Ja.«
    Marion schüttelte betäubt den Kopf. Die Information drang nur langsam in ihr Gehirn.
    Der Afrikaner fasste sie sanft am Oberarm und zog sie in Richtung des Haupteingangs.
    »Kommen Sie. Wir bringen Sie zu Ihrer Pension.«
    Marion folgte den beiden Männern wie in Trance.

    Vor der gelben Tür bedankte sich Marion und winkte den hilfsbereiten Afrikanern nach, bis sie in den Tiefen der Chungking Mansions verschwanden. Die nettesten Leute trifft man immer unerwartet, dachte sie, als sie die Tür aufdrückte. In der Pension war es still, und Marion schlich leise zu ihrem Zimmer, um niemanden zu wecken. Ihre Zimmertür war angelehnt, das Licht aus. Seltsam. Sie hatte es angelassen, als sie geflüchtet war. Sie tastete nach dem Schalter.
    Das Zimmer war leer. Ihr Koffer, die Wanderschuhe, die zum Lüften aufgehängten Jeans, selbst ihr Reisewecker und die Zahnbürste waren verschwunden. Weg. Geklaut.
    »Das kann doch nicht wahr sein«, stöhnte sie. Dann erinnerte sie sich an den Inder in dem Zimmer schräg gegenüber. Sie stürzte auf den Gang und trat gegen seine Tür.
    »Rück meine Sachen raus, du Mistkerl!«
    In dem Zimmer regte sich nichts.
    Marion hämmerte mit den Fäusten auf das Sperrholz ein und schrie sich ihre Wut aus dem Leib, aber es nutzte nichts. Der Inder und auch die anderen Gäste stellten sich taub. Wahrscheinlich lagen sie in ihren Betten und amüsierten sich über die Blödheit der Europäerin.
    Geschlagen ging sie zurück in ihr Zimmer und ließ sich auf das Bett sinken.
    Ihr war nur geblieben, was sie am Leib trug: ein Schlafanzug, ihre Jacke und ein einzelner Schuh. Zum Glück war das Kästchen mit dem zerbrochenen Jadepferd wie immer in ihrer Jackentasche verstaut. Alle Dokumente und die Kreditkarte befanden sich in ihrem Bauchbeutel. Der Diebstahl ihres Koffers war trotzdem ärgerlich, sie hatte extra gute Kleidung für den Besuch im Museum eingepackt. Am meisten nahm sie dem Dieb übel, dass er ihre Wanderschuhe gestohlen hatte. Morgen früh musste sie sofort für Ersatz sorgen, wenn sie nicht in Badelatschen durch den Hong Kong Airport laufen wollte.

Das Dorf der Diebe
    August bis Oktober 2004
    D er junge Mann setzte seine Reisetasche ab und wischte sich das ungekämmte, schweißnasse Haar aus der Stirn. Der Wanderer sah ungepflegt aus: Ein bläulicher Bartschatten umrahmte das breite Kinn, die Kleidung war schmutzig und an mehreren Stellen zerrissen. Unter seinen Armen hatten sich große Schweißflecken gebildet, und das Hemd klebte ihm am Rücken, aber er bemerkte es nicht. Er stand auf dem staubigen Feldweg, der zu seinem Heimatdorf führte, und redete sich Mut zu. Doch innerlich krümmte er sich: Am Ende dieses Wegs stand sein Vater wie ein drohender Riese, bereit, ihm mit Schlägen einzubleuen, was er für richtig hielt. So war es immer gewesen, und der junge Mann wusste, dass er der brutalen Autorität des verhassten Vaters nichts entgegenzusetzen hatte.
    Er knirschte mit den Zähnen. Sein Vater hatte Schuld an allem, was in

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