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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Deutschland hätte Ihnen diese Aktion eine Anzeige wegen unverantwortlicher Fahrweise eingebracht.«
    »Wie langweilig. Da vergeht einem ja der Spaß am Fahren.« Li Yandao überholte einen Eselskarren. Das Jammern des Keilriemens ließ das Tier scheuen, und der Führer des Karrens rief ihnen eine Verwünschung hinterher.
    »Sie sollten eine Feinstrumpfhose kaufen«, schlug Marion vor.
    »Wie bitte?«
    »Als Ersatz für den Keilriemen.«
    »Dafür habe ich kein Budget, und außerdem spart er mir den Einsatz der Sirene.«
    »Eins zu null für China.«

    Sie fuhren die Renmin Donglu in östlicher Richtung hinunter und passierten den Platz des Volkes, der in keiner chinesischen Stadt fehlen durfte. Eine gewaltige Mao-Statue wachte über den beinahe menschenleeren Platz und die ihn umschließenden modernen Bank- und Bürogebäude im sozialistisch-bombastischen Stil. Marion musste den Kopf verdrehen und ganz in den Nacken legen, um den Schädel des großen Vorsitzenden sehen zu können.
    »Ein bisschen zu groß für das kleine Kashgar«, stellte sie fest.
    »Was?«
    »Eure Mao-Statue. Die ist doch mindestens zwanzig Meter hoch.«
    »Möglich. Sie ist jedenfalls eine der größten des Landes. Damit hier nur ja niemand vergisst, dass wir in China sind. Viel weiter als Kashgar kann man sich schließlich nicht von Beijing entfernen.« Yandao ließ ein kurzes, freudloses Lachen hören. »Ehrlich gesagt, ich bemerke die Statue überhaupt nicht mehr.«
    »Für die Uighuren ist es bestimmt schwierig, sie zu ignorieren«, sagte Marion in der Hoffnung, er würde ihr ein wenig mehr zu dem Thema erzählen. Aber Yandao murmelte nur zustimmend und verstummte.
    Auf der Höhe des Sonntagsmarkts kamen sie an einem Riesenrad vorbei. Es stand auf einem kleinen Hügel, an dessen Hang einige Ziegen und Steinböcke aus Beton grasten: Stadtverschönerungsmaßnahmen auf chinesische Art. Kurz danach führte die Straße über einen großen See. Mehrere Ausflügler liefen auf einer fußballplatzkleinen Insel herum, deren Parkanlage von einer mehrstöckigen chinesischen Pagode aus Beton gekrönt war: Ein Stück künstlicher Heimat für jene Chinesen, die es nach Kashgar verschlagen hatte. Die in einer Stadt lebten, deren Kultur von Moscheen und nicht von Tempeln geprägt war, von kleinen Rosengärten anstelle von Parks, von alten verschachtelten Häusern statt uniformer Wohnsilos. Auf einmal empfand Marion Mitleid mit den Chinesen. Auch wenn Kashgar im Laufe seiner langen Geschichte häufig unter chinesischem Einfluss gestanden hatte, wirkte alles Chinesische in dieser Stadt seltsam deplaziert. China drückte Xinjiang seinen Stempel auf, aber die Siedler und Arbeiter aus dem Osten würden in der Wüstenprovinz niemals heimisch werden.
    Wenig später fuhren sie einen von hohen Pappeln beschatteten Weg entlang. Hinter den Bäumen duckten sich die Lehmhäuser der Uighuren, deren Haustüren liebevoll mit arabisch anmutenden Malereien und Schnitzereien verziert waren. Li Yandao parkte das Auto auf einem kleinen, von Souvenirläden eingerahmten Platz, stieg aus und streckte sich wie eine zufriedene Katze.
    Marion konnte ihre Ungeduld nicht länger unterdrücken. »Haben Sie den Mörder inzwischen gefunden?«
    »Nein, bisher noch nicht.«
    »Was bedeutet das für mich? Kann ich weiterreisen oder muss ich für immer in Kashgar bleiben und mich der Schafszucht widmen?«
    »Sie sehen das zu negativ. Kashgar ist eine Stadt, in der man gut leben kann. Alternativ könnten Sie eine Klempnerei aufmachen.«
    »Oder eine Fahrschule. Ich sehe da einen echten Bedarf.«
    »Wenn Ihnen das lieber ist …«
    »Hören Sie auf, sich über mich lustig zu machen. Wann kann ich die Stadt verlassen? Mir brennt die Zeit unter den Nägeln.«
    »In drei Tagen.«
    »In drei Tagen? Warum erst dann?«
    »Unser Pathologe kehrt erst morgen zurück. Ich muss die Ergebnisse abwarten, bevor ich Sie ziehen lassen kann. Darf ich Sie als Ausgleich für die schrecklichen Tage in Kashgar am Freitag zum Essen einladen?«
    »Sie dürfen. Wenn ich mir eine Busfahrkarte für Samstag kaufen darf.«
    »Abgemacht. Und jetzt möchte ich den Nachmittag genießen. Ich habe den Kollegen erklärt, dass ich Sie einer weiteren Befragung unterziehen will.«
    Marion sank das Herz. »Befragung? Ich habe doch schon alles doppelt und dreifach erzählt.«
    »Stimmt. Was den Mord anbelangt. Aber heute Nachmittag schwänze ich den Dienst.«
    »Was wollen Sie von mir wissen?«
    »Alles, was Sie mir erzählen

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