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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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großen Wagen unterwegs, die die Pfleglinge hierher überführen sollten. Sein letzter Brief war fast übermütig gewesen. Er hatte ein junges Mädchen kennengelernt, Französin, eine entfernte Kusine von ihm, die Krankenpflege lernte. Yvonne war ihr Vorname. Sie trage ein schwarzseidenes Kindermützchen, habe große dunkle Augen und goldbraune Löckchen.
    Die Mutter lächelte zufrieden, wenn sie diese Briefe las. Sonst aber war sie unnahbar ernst. Selbst mit der kleinen Madeleine, die Balde vor ein paar Wochen ins Leben geschafft hatte, spielte sie nur selten. Sie lebte in den Fernen. Ihr Mann war in Metz von den Preußen eingeschlossen, seit Wochen hatte sie keine Nachricht mehr von ihm; ihr Sohn Germain kämpfte als hessischer Jäger mit. Sie wußte nicht, wo. Ihr Vater war im preußischen Generalstab, sie selbst im eroberten Land, das ihr zur Heimat geworden.
    Françoise und sie verstanden sich schweigend. Sie arbeiteten, um nicht denken zu müssen. Und Françoise, die manchmal früher über die unanmutige Frau gelächelt hatte, die steif und schwerfällig schien, sah jetzt mit Bewunderung auf sie, wie sie gleichmäßig fest durch die drei großen Säle ging, deren seidene Tapeten sie mit Leinewand überspannen ließ. Françoise sah sie widergespiegelt in einem der großen goldgerahmten Kaminspiegel, die wie Seen zwischen den grauen Leinwandbahnen hervorguckten. Achtlos, ohne sich zu betrachten, stand sie da, mit den aus der Stirn gerissenen Haaren und der breiten Flechte, in der Mitte zum Diadem verdickt, derenUnzugehörigkeit zu dem seinen, schmalen Köpfchen sie durchaus nicht zu verbergen suchte. Sie trug sie, wie sie ihre haselnußgroßen, schwarzen Elfenbeinperlen trug, wie sie klaglos alle anderen Unbequemlichkeiten und Leiden auf sich nahm, die die Mode von ihr verlangte. Diese Frau hat sicher niemals danach gefragt, ob ihr dieses oder jenes steht, dachte Françoise. Und sie fühlte auf einmal ganz stark das Vornehme dieser anscheinenden Geschmacklosigkeiten.
    Während sie sachgemäß die Instrumente, die der Arzt geschickt hatte, putzte und in die Schränke ordnete, während sie Binden riß und wickelte, genoß sie es an sich selber, daß sie heute alles besser verstand und mitfühlte, was ihr früher als deutscher Hochmut, deutsche Kaltherzigkeit erschienen war.
    Das war Heinrichs Schuld, die Schuld ihrer Liebe für ihn.
    Ruhig, aber rastlos ging die Arbeit fort. Abends standen sechs Reihen Betten weiß und kühl in den lichten Räumen.
    Nach dem Nachtessen wanderte Françoise in dem großen, wundervollen Park umher, der das Schloß und allerlei kleine Einzelgebäude, Kioske, Wirtschaftshäuser, Ställe, Remisen dicht und dunkel umarmte und sich dann noch wie ein Wald weiter ins Tal hineinstellte.
    Françoise war wohlig müde und mit sich zufrieden. Sie ging umher mit stillen, zärtlichen Schritten und ließ sich willig durchströmen von der Schönheit ringsum. Die Taxusallee duftete. Das »refugé« , ein alter moosbewachsener Turm, stand ernsthaft und beglänzt in der lauen Nacht, herrliche Blumen bildeten auf samtenen Rasenplätzen Herzen oder Sterne, andere auf langen Stielen standen frei und in Rabatten die Büsche entlang. Eine steingefaßte Quelle silberte aus dem Dunkel heraus. Hinter ihr wurde zwischen zwei hohen Bäumen der Mittelgiebel des Schlosses sichtbar mit seiner Fahne vom Roten Kreuz. Hier hält der Haß still, dachte Françoise, hier ist die Brücke gebaut zwischen den feindlichen Ländern, von der ich zu Arvède sprach.
    Jetzt hörte sie Schritte auf dem Kies. Frau von Meckelen trat aus dem Hause. Sie setzte sich auf einer Bank da nieder,die zwischen hohen Hortensienkübeln stand. Sie sah Françoise nicht. Ihre Haltung nahm etwas Einsames, Versunkenes an. Sie schien die Hände zusammengelegt zu haben. Betete sie für den Sieg? Für wessen Sieg? Ein Kinderstimmchen klang klagend herüber, Madeleine war aufgewacht. Frau von Meckelen wandte nicht einmal den Kopf danach. Draußen hörte man einen Bretterwagen über das Pflaster rumpeln. Sollten schon Kranke anlangen? Die Hausschelle tönte. Frau von Meckelen stand auf. Gerade und mit ihrem gewohnten starken Schritt ging sie ins Haus zurück. Françoise folgte.
    Ein Mann war da, der einen dicken Brief brachte. Die Preußen, für die er in seinem Wagen Kartoffeln fahren mußte, hatten ihm das Schreiben mitgegeben. Er erzählte laut und aufgeregt, wie er unterwegs hätte Wache stehen müssen gegen die eigenen Landsleute, die heranschlichen

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