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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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und den Wagen bestahlen.
    Frau von Meckelen war auf ihr Zimmer gegangen. Sie kam nicht wieder. Françoise ging hinauf. Die Türe war geschlossen. Allmählich versammelten sich im Vorflürchen die Dienstboten. Man hatte Seufzer gehört, Töne, von denen man nicht wußte, ob wirklich die gelassene strenge Frau da oben sie ausstoßen konnte. Françoise ging noch einmal hinauf. Die Stubentüre öffnete sich. Da stand die Meckelen, groß, weiß, wie taumelnd. Sie bewegte beide Hände in der Luft. »Germain ist gefallen.« Françoise stand das Herz still vor Mitleid. Sie streichelte die Hände, die kalt waren und glatt wie Elfenbein. Frau von Meckelen wandte sich ihr zu. Aber noch im Ansehen verloschen ihre Augen. Sie machte mit der Hand eine hoffnungslose Bewegung, dann richtete sie sich auf und ging durch die schweigsame Dienerschaft hindurch in Germains Zimmer. Da hörte man sie auf und ab schreiten die ganze Nacht.
    Françoise stand an ihrer Tür und horchte, klopfte manchmal leise an und wartete wieder, aber sie wurde nicht gerufen.
    Am Morgen öffnete und erschien die Meckelen. Sie stand wie angesaugt am Getäfel der hohen braunen Tür. Auf dem Tischlag Kinderspielzeug, eine Pferdeleine, ein Bilderbuch, daneben ein Kasten voll Briefe. Als Françoise zu ihr trat, reichte sie ihr die beiden Briefe, die sie gestern abend erhalten hatte.
    »Lesen Sie!«
    Es war ein Brief aus Nassau von der Frau von Stein, Frau von Meckelens Mutter. An sie hatte man die Todesnachricht geschickt. Erst nur die Depesche des Hauptmanns, dann nähere Berichte. Die hessischen Jäger hatten in einem Dorfe bei Gravelotte abgekocht, da kam der Befehl zum Vormarsch. Die Franzosen hatten im Halbkreis auf den Höhen Aufstellung genommen. Nach überhetztem Aufmarsch glaubte Germains Regiment einen Augenblick auf der unvollendeten Bahnlinie Metz-Verdun im Schütze des Dammes rasten zu können. Da kam Flankenfeuer. Germain hielt noch sein Butterbrot in der Hand, als man ihn fand. Ein deutscher Arzt schleppte ihn auf seinen Armen mit eigener Lebensgefahr aus dem Feuer.
    Françoise schloß die Augen. Ihr war, als habe man ihr das von Heinrich erzählt. Dann ging sie zu der Unglücklichen hinüber, die noch immer das alte braune Holz da an der Tür mit ihren Tränen wusch, brachte sie, die jetzt willenlos war und schwach, zu Bett und pflegte sie. Am Nachmittag kam Frau von Meckelen wieder herunter. Sehr gerade, fahl und wie mager geworden. »Nichts reden,« sagte sie zu Françoise. Sie ging an ihre Arbeit wie vorher. Nicht einmal ein schwarzes Kleid hatte sie angelegt.
    Die Leute in Sulz zeterten über sie: »Voilà une Allemande, elle n'a pas de coeur.« Hätte sie geschrien und gejammert, man hätte ihr verziehen, daß es ein Feind war, um den sie weinte.
     
    Die Maison Centrale war also nun wirklich unter der angekündigten feindlichen Bewachung. Wie vorausgesagt, waren mit dem Schlage Fünf zwölf Ostpreußen in Pickelhauben eingerückt, groß, blond und schweigsam in ihren blauen Uniformen. Sie hatten nicht rechts und links gesehen, ihre Tornister und Mäntel in der Kaserne abgelegt und sogleichangefangen, dort mit Besen und Seife zu wirtschaften, während ihre Kameraden bereits auf der Zuchthausmauer die Gewehre schulterten, als wären sie ihr Lebtag nie an anderem Ort gewesen.
    »Sie tun, als ob sie hier zu Hause wären,« sagte das Salmele. Aber sie kochte doch einen mächtigen Topf Kaffee für die Feinde, weil die Kantine ja inzwischen eingegangen war und die Sammlung, die der Maire zur Ernährung für die Prussiens veranstaltet hatte, keinen Erfolg aufwies. Nun hatte er eine Eingabe an den General von Schmeling gemacht, die die Sachlage darstellte. Inzwischen übernahm er selber die Beköstigung. Frau Balde hatte damit unerwartet ein neues starkes Interesse bekommen. Sie war von früh bis abends spät in der Küche beschäftigt und hatte sichtlich Freude daran. Toinette Groff, die immer noch in Männerkleidung umherging und auch ihren Stutzen noch nicht abgeliefert hatte, fand sich gleichfalls zur Atzung ein. Das Salmele schalt, sie äße so gewaltig jetzt, weil sie in Hoffnung sei vom Dreier-Tjark. Sie leugnete es nicht. Hohläugig und wild ballte sie oft die Faust gegen die Richtung hin, wo sie sich ihn dachte. Er solle es nie erfahren, sagte sie, daß er ein Kind hatte hier im Elsaß. »I gunn's ihm net, dem – dem – dem Prussien!« Um die Kaserne herum machte sie einen großen Bogen. Sie spuckte aus, wenn sie einem der Wachtsoldaten

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