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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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drei Jahre auf alle Toiletten verzichtet, um eine große Summe dazu beisteuern zu können. »Und du, was tust du?« fragten ihre Augen.
    Der kleine Paul hat dann einen Schauer in sich aufwallen gefühlt, halb schöne Vorsätze und halb Abneigung. Unwillkürlich und ohne sich darüber klar zu werden, wehrte er sich dagegen, schon jetzt eine Verpflichtung auf seine Schultern zu nehmen, da er noch so neugierig war auf das Leben und die Arme freibehalten wollte dafür.
    Auf die Place d'Armes wurde er geführt, wo die »Quand-même« -Statue stand, eine junge Elsässerin mit ländlicher Schlupfenhaube, in deren Kleid sich, niedersinkend, ein verwundeter französischer Soldat krampft, und die das Gewehr, ehe es seiner Hand entsinken kann, entschlossen über ihn wegschreitend, auf die Schulter nimmt. Hortenses Gesicht wurde vor diesem Bilde steinern und brutal wie das der Standfigur selber.
    Zuletzt ging sie mit Paul in die kleinen schmutzigen Läden der Bilderbuchhändler und kaufte die Schmähbilder auf Deutschland, die dort feilgeboten wurden: deutsche Soldaten, die kleine Kinder auseinanderrissen, an hellem Feuer brieten und verzehrten; »Prussiens«, die über die Schlachtfelder gingen und Ringfinger abschnitten, die sie an Gürteln um den Leib hängten; Kaiser Wilhelm als große Spinne inmitten eines Netzes, davor die République Française mit einem Besen, im Begriff, das Netz zu durchstoßen, und ähnliche Kindlichkeiten.
    Mit solchen Bildern füllte sich seine Phantasie.
    Kam er in den Ferien nach Mülhausen, wo seine Eltern damals noch im alten Füeßlischen Familienhause mit wohnten, so fand er dort an Stelle der erwarteten deutschen Grobiane und Tyrannen eine Handvoll Beamter, über deren enge Sparsamkeit, Besserwisserei und unfranzösisches Wesen Großpapa und Großmama unterhaltsam spotteten, an Stelle der elsässischen Märtyrer aber Spaßvögel, die mit blau-weiß-roten Schlipsen unter zugeknöpften Röcken patriotischen Sport trieben, Damen, die ihre Hüte mit Mohn, Kornblumen und Sternblumen besteckten, um damit die französischen Farben anzudeuten, und »kuraschiert« unter der Nase des Gendarmen damit herumwippten.
    Wirklich zu Hause hat er sich in Mülhausen nie gefühlt. Seine Eltern, abhängig vom Familienoberhaupte, schienen ihm gleichfalls wie nur zum Besuche dort. Sie hatten überdies eine Art, ihn zärtlich prüfend zu betrachten, die ihm unbequem war. Er spürte es bald heraus, daß sie irgend etwas für sich selbst von ihm erwarteten, daß er ihnen irgendwie helfen sollte. Das rührte und beunruhigte ihn zu gleicher Zeit.
    Dabei liebte er seine junge Mutter zärtlich. Ihr kleines weißes Zimmer, das immer aussah wie ein erwartungsvolles Mädchenstübchen, war ihm der einzig trauliche Platz des Hauses, in dem es prächtig, aber steif und zeremoniell herging, und das für Kinder kein Herz hatte. Nur wenn Françoise einmal plötzlich mit einer Leidenschaftlichkeit, die zu ihrem übrigenWesen nicht paßte, von ihm verlangte, er solle jeden Deutschen hassen und verfolgen, sah er sie befremdet an und schwieg.
    Er, der durch die Fremden noch nichts gelitten hatte, empfand im Grunde keinen Groll gegen sie.
    Seinem Vater begegnete er mit altkluger Nachsicht. Ihm, den man gelehrt hatte, die französische geräuschlose Feinheit der Formen möglichst vollkommen nachzuahmen, schien Pierres naiv-fröhliche und laute Art bäurisch. Er schämte sich für ihn. Überhaupt war er ein wenig herablassend gegen das Elsaß und wurde darin bestärkt durch die andern, die gleichfalls in ihm den Franzosen sahen und ihn deshalb wichtig nahmen. Man maß an ihm eigenes Benehmen und Verhalten ab.
    Da war besonders grand-papa Füeßli. Die Familie hatte sich, trotzdem sie längst in Mülhausen ansässig war, ihre Schweizer Nationalität bewahrt. Sie schickte ihre blonden, kräftigen Söhne seit Generationen nach Paris, um dort freieren Blick und Bildung zu bekommen. Auch grand-papa Füeßli war dort gewesen. Damals politischer Spötter, war er seit Siebzig blindglühender Anhänger Frankreichs, jenes Frankreichs, dessen Sitten und Anschauungen er in seiner Jugend in Paris kennengelernt hatte, und die er nun gewissenhaft seinem elsässischen Heim einimpfte. Seit dem Kriege durften selbst seine Dienstboten kein Elsaß-Deutsch mehr reden, und es war dem Alten ewiger Grund zum Spott, daß Pierre von seinem Patois nicht lassen konnte und immer wieder hineingeriet.
    Grand-papa ließ sich Pauls französische Schulhefte bringen und

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