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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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entzückte sich an den bunten patriotisch-sentimentalen Bildern der Umschläge: Napoleon in ritterlicher Haltung vor einer jungen bittenden Frau, ein Todesurteil zerreißend. Und ähnliches. Geschwätzig erzählte er dem Knaben von glänzenden Festen, berühmten Männern und schönen Frauen, die er in Paris erlebt. Paul hörte aufmerksam zu. Er wollte auch so leben, später, wenn er erwachsen wäre. Und ganz im Tiefsten seines Herzens wünschte er dann wohl, die Deutschen möchten das Elsaß nicht wieder hergeben, dann würden die Eltern ihn in Frankreich lassen, und er könnte nach Parisgehen, schöne Frauen sehen, Feste feiern und ein berühmter Mann werden.
    Dem Vater gegenüber verschwieg er freilich solche Hoffnungen. Der rechnete sicher auf den Sohn, nicht nur als Nachfolger, sondern bereits als Mitarbeiter in der Fabrik. Schon jetzt redete er mit ihm gern Geschäftliches. »Wann du emol an der Reih bisch, mon petit , do wirsch dü's besser bekumme wie di'Vatter.« Und dann, unter dem leise mißbilligenden Blick des Sohnes französisch fortfahrend: »Früher, da wir für Frankreich lieferten, waren wir Spezialität, wir konnten für unsere solide Arbeit hohe Preise fordern; jetzt haben wir die Konkurrenz mit Deutschland, das an billige Ware gewöhnt ist. Und grand-papa , der verlangt, wir sollen uns keine Mühe geben für die kurze Zeit, bis Elsaß wieder französisch geworden ist! Ich dagegen vertrete die Meinung: Wir dürfen unsern Ruf nicht schädigen, wir dürfen nicht nachlässige Gewohnheiten annehmen in unserer Produktion, sondern müssen gerade durch die Güte und den Geschmack unsrer Ware die neue Konkurrenz besiegen. Dann kann alles mit der Zeit gut werden. Aber der Kampf ist hart. Ihr müßt uns dankbar sein, ihr jungen Leute, wenn ihr nachher einfach im wieder französischen Elsaß in die Nester zurückkehrt, die wir für euch bereit hielten, Allemand malgré nous «. Und er schloß, wieder kräftiger: »Jo, 's isch kei Pläsier jetzt, mit dere neie Douangrenz', je t'assure . Dü wirsch's besser han, wenn du emol an d' Reih kummsch.« Paul hatte dann schweigend die Augen gesenkt. Genau wie bei Tante Hortenses Fanatismus und grand-papa 's Spott empfand er Abwehr. Alle wollten ihn mit Beschlag belegen, jedem sollte er zur Erfüllung eines Ideals dienen. Er aber wollte vorerst einmal selber erleben. Sich noch nicht binden.
    Von grand'-maman und den Tanten wurde er ausgiebig gehätschelt. Sie machten dem hübschen Buben den Hof und benutzten ihn zugleich dazu, ihnen französische Parfüms, Seifen und verbotene Romane herüberzuschmuggeln. Der Kleine plauderte gern mit ihnen, und sie lachten zusammen. Sie waren fromm, putzsüchtig und unterhaltend boshaft. Vor allemwurden die norddeutschen Damen von ihnen unbarmherzig bekrittelt. »Baumwollne Hemden tragen sie, sie tragen ihre Hüte drei Jahre, immer die gleiche Fasson. Sie verlangen beim Schuhmacher niedrige Absätze, imaginez-vous . Natürlich haben sie den Kot der Straße an ihren Rocksäumen. Sie tragen gewirkte Handschuhe, sie essen süße Obst- und Biersuppen. Sie haben nur zwei Mahlzeiten täglich, so geizig sind sie. Ihre Dienstboten bekommen nicht das tägliche Schöpple Wein. Sie arbeiten sich ab; sie begleiten ihre Männer abends in die Wirtshäuser, essen ungeheure Portionen von rohem Fleisch und stützen die Arme auf die fettigen Tische. Zu Hause haben sie den ganzen Tag ihre schreienden Kinder an ihren Rockfalten. Und wie viele Kinder sie haben! Fünf oder sechs ist das Gewöhnliche. Man kann nicht verstehen, wie es vorkommen kann, daß ein Elsässer ein deutsches Mädchen heiratet.«
    »Oh, ça dépend!« Paul sah spitzbübisch drein. Er war letzten Mittwoch in der Lambertsgasse ein paar hübschen blonden deutschen Mädelchen mit Musikmappen begegnet, deren dicke Zöpfe und helle, gerade Blicke ihm so gut gefallen hatten, daß er beschloß, fortan jeden Mittwoch und Sonnabend in der Lambertsgasse Ausschau zu halten.
    »In Frankreich ist alles feiner und besser als bei uns jetzt hier,« sagten die Tanten.
    »Nur die Straßen schmutziger,« erwiderte Paul keck und wies auf die uniformierten Straßenreiniger, die unter Leitung eines strammen Deutschen die Gasse kehrten. Die Tanten nahmen es als Witz und lachten. Aber es war wirklich so, daß der kleine Franzose den Deutschen weniger gram war als die Elsässer daheim, die sich täglich an den Eroberern rieben.
    Als Paul dreizehn Jahre alt war, übersiedelten seine Eltern nach Thurwiller, wo

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