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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Platz, ein sicherer Maßstab für seine kleinen, steinernen Nachkommen ringsum.
    Manch unruhiges, dünnwandiges und elend zusammengemörteltes Geschöpf war unter denen. Hummel suchte die frühere Post. Das Häuschen stand noch, aber es war ein Kramladen darin errichtet. An Stelle der fleckigen französischen Kaserne stand eine reinliche deutsche Mädchenschule. Die Apotheke drüben aber war noch da, ihr Schaufenster vergrößert, die rot und giftig grün gefüllten Glasbassins leuchteten herüber wie ehemals, und auch das Schild mit der goldenen Hummel streckte sich wie früher vom Hause ab. Er ging über den Platz, weil ihm die Schrift verändert schien. Ja, da stand deutlich: »Zur deutschen Hummel«, darunter in viel größeren Buchstaben: »Inhaber Charles Amstoutz«.
    Der Geheimrat mußte erst eine ganze Weile nachdenken, bis er begriff: dies sei der kleine blonde Schmutzfink aus der Post, der illegitime Sprößling des Monsieur de la Quine. Er hätte seiner, selbst verwelschten Sippe einen legaleren Nachfolger gewünscht.
    Von einer gewissen Neugier getrieben, näherte er sich dem Gitter, wobei er aus dem halbgeöffneten Fenster des Drogenstübchens einen erinnerungsreichen Geruch von getrockneten Kamillen und Nelkenöl an sich heranströmen fühlte. Das Haus hatte nach dem Garten zu eine Glasveranda erhalten, in der ein Petroleumöfchen glühte. Hummel sah da eine altedicke Dame sitzen, in schwarzem, weitem, etwas unordentlich zusammengeknöpftem Hauskleid, auf dem Kopfe ein schwarzes Netz mit Seidenrüsche, halb Hut, halb Haube. Tante Amélie? Wahrhaftig. Da war ja auch die alte Garnwinde, wie ein umgekehrtes Schirmgestell, auf jeder Spitze ein Püppchen. Die dicke alte Frau wickelte graue Baumwolle. Jetzt rollte ihr das große Knäuel zu Boden. Sie bückte sich es aufzuheben, und Hummel entdeckte unter dem schwarzen Hut einen großen, gelb glänzenden Chignon. Nun wurde ihm alles klar. Die Bourdons waren ja natürlich längst tot, und hier wohnte nun die »schöne« Célestine mit ihrem Sohne zusammen.
    Der Geheimrat wühlte unbarmherzig seinen Bart schief. Ein ganzes Kaleidoskop von Figuren war ihm aufgetaucht, schoß zusammen und auseinander und formte bunte Schaubilder für ihn.
    Wie ihm das alles imponiert hatte damals! Er kam sich weise vor und weltklug geworden.
    Er ging weiter. Alles wie damals: Die Madames in Bettjacken und weißen Hauben lagen zum Fenster hinaus und schwatzten, eine neue Generation struppiger Pinscher kläffte ihm nach. Es roch nach Kohlsuppe und Zwiebeln. Bunte Wäschefetzen trockneten in den Seitenschlupfen der Häuser, man trat mitten auf dem Pflaster auf Gemüseabfälle, scheuwildernde Katzen strichen umher, Pantoffeln klapperten, unförmige Frauen schalten mit rauhen, tiefen Stimmen gegeneinander. Rotznäschen stolperten umher. Aber man bemerkte doch eine gewisse neue Anlage zu Regelmäßigkeit, Ordnung und Reinlichkeit: Regentonnen standen unter den singenden Dachrinnen. Die Fensterscheiben waren blank, hatten saubere Gardinen ins Zimmer hinein, die Bänke vor den Häusern waren hell angestrichen. Ein paar nett gekleidete Schulmädchen gingen vorbei. Sie schauten nur flüchtig nach ihm um. Man schien an Fremde gewöhnt zu sein im neuen Thurweiler.
    Am Ende der Straße angelangt, bog er zu den Wiesen ein, hinter denen die Schlotterbachsche Fabrik stand. Er entsann sich gut des Weges und der streitenden Weiber, die hierdahergestampft waren: »Uese mit, üse mit«. Und deutlich sah er das verängstigte Gesicht seines armen Onkels vor sich.
    Nun hörte er auch schon Fabriklärm, Hammern und Surren. Er sah die Gebäude – ein breiter Komplex jetzt: Maschinenhäuser, Elektrizitätsanlagen. Von der Wiese, die damals voll weißer hoher Sternblumen und spielender Kinder gewesen ist, war kein Halm mehr zu erblicken. Alles rundum schwarz von Kohlenbergen. Kein Strauch, kein Baum in der Nähe. Und der Park? das Wohnhaus? Der Geheimrat wandte sich hin und zurück. Er putzte seine Brille. Er ging näher zur Fabrik. Das große Tor war geschlossen. Der Hof dahinter ganz leer. Nur der Portier, ein mächtiger Ostpreuße, kam aus seinem Wachhäuschen und erkundigte sich nach dem Begehr des Herrn. Hummel fragte nach der Villa. Der Mann, der verdrießlich schien, zeigte mit dem Arm weit weg. Er war verschwunden, ohne weitere Auskunft zu geben.
    So ging denn Hummel ziellos vorwärts die neue Straße entlang, in der ein paar helle Backsteinhäuser standen, aus deren Laden es nach Schuhwichse und

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