Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
ganz erinnerungsmäßig, genau so wie an die Landschaft hier dachte und an den Sommer, da er sie zum ersten Male durchschritt.
    Der Freiwillige hatte sich inzwischen umgewendet. Drüben auf der andern Seite der Straße wurde eben ein Möbelwagen abgeladen. Hummel bemerkte schändliche Fabrikmöbel, die man ins Haus trug. Der Jüngling aber schien entzückt. »Unser neuer Arzt wohnt da,« erklärte er, »o, ein feiner Herr. Er hat eine Narbe im Gesicht, einen Schmiß nennt er es. Er hat auch einen Studentenring und ein kleines buntes Abzeichen über der Weste zu tragen. Alles von seinem Studentenkorps. Er ist sehr stolz darauf. Und nichts gefällt ihm hier. Eben läßt er sich Möbel aus Berlin kommen, aus einer großen Fabrik. Alles grüner Plüsch. Sehen Sie, das ist der Sofaumbau. Und gleich Vasen dazu.«
    »Ich danke Ihnen,« sagte Hummel, ihn unhöflich verabschiedend. Er wandte sich jetzt zur Ill-Brücke. Das Rathaus wollte er wiedersehen und dann in die Kirchgasse einbiegen, nach dem Teil hinter der Stadt, in dem nach Meckelens Beschreibung Victor Hugos neue Villa stand. Aber der Urlauber, der sich langweilen mochte, war ihm nachgegangen. »Da rechts ist das Zuchthaus, sehen Sie, mein Herr. Man hat alles vergrößert. Auch eine protestantische Kirche befindet sich im Vorderhofe. Es gibt jetzt viele Protestanten in Thurweiler. Ah, der Herr betrachtet das Rathaus. Sehr schön, nicht wahr? Wollen Sie's nicht innen besichtigen? Der Ratsschreiber ist mein guter Freund. Er läßt uns eintreten.«
    »O ich kenne ihn.« Der Geheimrat spähte nach dem Fenster hinauf, wo damals der Silberkopf herabzuschimmern pflegte, wie aus Ewigkeiten stammend und in Ewigkeiten hinüberlebend. »Ich kenne Père Anselme,« sagte er noch einmal.
    »Der alte Sartorius? O, der ist lange, lange tot. Ein ulkiger Patron. Na, etwas mehr versteht unser Monsieur Justin doch.«
    »Justin? Gab es nicht einen Pachthof in der Umgegend, der so hieß? In der Nähe von Sulz, glaube ich.« Er wußte selbst nicht, wie ihm diese alten Namen wiederkamen.
    »Der Herr hat recht. Der Bauer aus Sulz war der Vater unseres jetzigen Ratsschreibers. Die Mutter lebt mit ihm zusammen hier. Eine fromme Frau. Beide sind sie fromm. Katholisch bis dort hinaus. Der Curé steht gut mit ihnen.«
    »So, also der Sohn vom Justin.« Hummel war stehengeblieben. Er blickte auf das Zipfelmützendach des »Lustigen Bruders«, der jetzt, gelb angestrichen, reinlicher und heller als früher aussah. Dann ging er über die Brücke. Der Beflissene blieb fest an seiner Seite. »Wenn ich dem Herrn noch weiter zu Diensten sein kann. Hier bin ich zu Hause. Der Herr kann eintreten, wenn er irgend etwas bedarf.« Er zeigte auf ein großes Ladenfenster, in dem Schinken, Konservenbüchsen aller Art, Wurst, geräucherte Fische, Käse und Schwarzbrot ausgestellt waren. An den Scheiben hingen bunte Plakate für Maggi, Knorr-Suppen und sonstige Surrogate.
    Hummel betrachtete das Schild: »Leo Zerff« stand da in großen Buchstaben. Sollte das der alias Napoleon Cerf alias Hirsch sein?
    Zerff junior fuhr fort: »O ja, es gehörte Mut dazu für meinen Vater, hier ein solches Geschäft aufzumachen. Die Elsässer, Sie wissen, essen des Abends ihre Suppe und ihre warmen kleinen Gerichte.« Er legte einen leichten Ton der Verachtung in diese Worte. »Die Deutschen waren unglücklich, als sie herkamen. Kein Aufschnitt für ihr Abendbrot. Nichts als Knoblauchwurst und nasses weißes Brot. Kein Tee, kaum gutes Vier. Da hat Papa gründlich Abhilfe geschaffen mit seiner ›Zerfelatwurst‹.« Er kicherte über seinen Witz.
    »Und er selbst befindet sich sicher dabei am besten,« sagte Hummel ironisch.
    »Tadellos. Die Arbeiter lassen etwas draufgehen nach Feierabend. Samstag kann man nicht genug Kaviar schaffen. Man kann ihn billig geben. Papa kauft havarierten. Sie schmecken es nicht, wenn er ein bißchen ranzig ist. Die deutschenDirektoren übrigens auch nicht,« fügte er vertraulich hinzu, sich einen Augenblick vergessend.
    Hummel lüftete verabschiedend den Hut und ging. Napoleon Cerf! Er mußte lachen. Blanche de la Quine fiel ihm ein. Wie sie an dem Morgen nach dem Gewitter neben dem faden Gesellen gestanden hatte.
    Versunken, vergessen.
    Sein zudringlicher Begleiter war endlich verschwunden. Hummel stellte sich mitten auf den Kirchplatz, freute sich wieder des still geschlossenen Gevierts und sah auf das Rathaus. Ja, das war unverändert. Heiter und fest wie seit Jahrhunderten begrenzte es den

Weitere Kostenlose Bücher