Die Verborgene Schrift
Apfelsinen roch; im Schaufensterchen standen Bonbons und Zahnbürsten, Tabakspfeifen, Kleiderstoffe, schwarze Johannisbrotschoten und Arbeitswerkzeuge.
Hier irgendwo in der Nähe mußte der Schlupfweg eingemündet haben, auf dem der kleine Victor Hugo ihn geführt hatte. Wie hübsch der Junge gewesen ist, wie begeistert! Da am Fluß im Röhricht ist damals ein Volk Rebhühner aufgeflogen, jetzt stand da eine Arbeiterkantine. Man roch Schnaps und Tabak und hörte ein Grammophon mit Tenorstimme quäken: »Mein Herz, das ist ein Bienenhaus«. Eine starke Frau trat aus der Türe und grüßte neugierig. Sie hatte die Brust, die sich gewaltig und fest vorwölbte, mit großen Stopfnadeln besteckt, von deren einer ein langer, grauwollener Faden wehte. Auf diesen Faden mußte der Geheimrat starren. Er beunruhigte ihn.
Wo die Schlotterbachsche Villa sei, fragte er dann, er finde sich nicht mehr zurecht.
Die Frau zeigte ihre stark gelichteten großen Zähne. Die Villa bei der Fabrik? O ja, da habe früher einmal eine gestanden, aber die sei weggerissen. Jetzt war ja der große Kalistollen da, wo sie gestanden hatte.
»Und Herr Victor Hugo Schlotterbach?«
Ah oui, der Herr Direktor wohne dahinten. Sie wies gegen den Illwald hin. »Ein prachtvolles Château. O, Monsieur hat es dazu. Monsieur ist reich.«
Eben im Begriff wieder umzukehren und in den kleinen Seitenweg einzubiegen, der gegen den Wald führte, blieb Hummel noch einmal stehen. Ihm entgegen schritt ein sonderbarer Zug. Man sah zuerst nur einen jungen Mann im Strohhut und hellen Anzug, der mit steifen Armen langsam, den Kopf wie ekstatisch mit geschlossenen Augen emporgehalten, herankam. Irgend etwas Lebendiges bewegte sich auf wunderliche Weise über seiner Brust, wie eine Schlange, die sich aufbäumt, oder, jetzt sah man's deutlicher, ein Zweig, den man stößt. Hinter dem jungen Manne kamen Herren in Stadttracht, aufmerksam und vorsichtig nachschleichend. Dann ein paar Bürger und Frauen. Der vorderste der städtisch Gekleideten – er trug Gehrock und Zylinder – hielt eine im Winde flatternde Landkarte, in die er sich mit Bleistift Notizen machte.
Die Art, wie der kleine Zug herankam, hatte etwas Feierliches und zugleich Komisches, die Leute benahmen sich halb lachend, halb achtungsvoll, so wie man den Produktionen eines Seiltänzers folgt. Jetzt erkannte Hummel auch, was sich da so seltsam bewegt hatte und nun, steil gestreckt, ruhig von dem Manne abstand: eins Art Zweig oder Gerte. Und er begriff, daß er einen jener Wünschelrutenmänner vor sich hatte, die den Boden auf Wasser, Gold, Metalle aller Art und hier wahrscheinlich auf Kali untersuchen zu können behaupten.
»Humbug,« sagte er grimmig vor sich hin und ließ den Zug an sich vorbei. Er sah noch, wie aus dem Fabrikgebäude ein hoher, gut gewachsener Herr mit langem, grauem Vollbart heraustrat, der von allen ehrerbietig begrüßt wurde, mit dem Rutenträger ein paar Worte sprach, aus dunkeln Augen prüfendum sich blickte, die Kinder wegwies, die sich herandrängten, und dann mit dem Zuge weiterging. Es hatte etwas Frisches, Festes in der Art gelegen, wie er sich bewegte.
Die Kinder kamen jetzt lärmend zurück. Sie begannen auf einem der Bauplätze zu spielen, an dem vor einer großen Kalkgrube verlockend Holztrümmer und Ziegelsteine lagen. Fast alle waren sie blond und blauäugig, sahen gesund aus und machten einen ungeheuren Lärm. Ein Schwarzäugiger mit vollem, braunem Haar, etwa siebenjährig, wurde soeben von einer alten Magd heimgeholt, deren nicht sehr geistvolles Gesicht von großen Sommerflecken getigert war. Er riß sich los, um weiter zu spielen. Hummel hörte ihn mit einer lieben Stimme der Alten schmeicheln, die denn auch nachzugeben schien. »Awer numme, bis daß i d'Eier g'holt han.«
Der Geheimrat hatte den kleinen Pfad beschritten, der hocheingebuscht an der Ill entlang führte. Über dem noch kahlen Gesträuch sah man nun Gärtnereien, Glasdächer und strohbedeckte Frühbeete. Ein langes Beet voll Chrysanthemen in wundervollen Farben. Dann kamen Warmwasseranlagen, Remisen, Kutscherhaus und Ställe. Hinter einem dichten Schutzgebüsch von Tannen und Lebensbäumen begann der große herrschaftliche Park.
Hummel ging am Gitter hin, sah die schöne, noch etwas neue Anlage, eine Flora, eine Faunsbüste, Springbrunnen, Gartenhäuschen, Marmorbänke, dann kam das Portal, schmiedeeisern mit goldenen Ranken, dahinter die Villa, hell, in prächtigem Barockstil. Auf gelbem Sand
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