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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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ja bei dieser Gelegenheit dort eine elsässische ferme ansehen. Sicher würde ihn das doch sehr interessieren. Er sah bittend zu ihm auf. Es wäre ihm eine Erleichterung gewesen, sich vor dem großen Freunde auszusprechen. Heinrich antwortete nicht. Der Gang nach der ferme lockte ihn, aber die Gesellschaft des Knaben dabei schien ihm lästig, denn er sehnte sich danach, einen Augenblick mit sich allein zu sein, selbst herauszufinden aus all dem Widersprechenden, das in ihm kämpfte. Im Suchen nach einem Ausweg fiel sein Blick auf Françoise, die neben ihm stand. Und plötzlich sagte sie, als lese sie seine Wünsche und gebe ihnen Raum: »O, wir können Victor Hugo hier durchaus nicht entbehren, er muß uns helfen, unsere provisions zu transportieren.« Sie hielt die Augen gesenkt, aber Hummel hatte den Eindruck, als schaue sie ihn durch und durch.
    »Nur immer am Bleichbach entlang,« war ihm bedeutet worden. Er sah auch gleich die grüne Raupe, die von den niederen Randweiden des Bächleins gebildet wurde, ging über Wiesen, auf denen er mechanisch pflückte: Champignons und unwissentlich auch kleine Giftpilze. Ein Alter in Hemdsärmeln stand am Bach und fischte, zwei kleine Mädchen inroten Röcken mit Beerenkannen unterbrachen einen hohen, lauten Gesang, um ihm »bonjour« zu wünschen. Jetzt sah man oben über dem Hügel das tief herabgebogene Schindeldach des Pachthofes liegen. Auf dem Holztrog eines fließenden Brunnens saß ein Mann in blauer Bluse und dengelte. Unter der Zipfelmütze sah man das kluge scharfgeschnittene Gesicht, belebt durch dunkel-spöttische Augen. Père Justin musterte den Fremden gelassen. Als Hummel jetzt durch das Holztürchen der Schlehenhecke hindurch in das Gehöft trat, folgte er ihm langsam, schob seine Pfeife schiefer in den Mund und betrachtete den Gast von neuem. »Qu'y a-t-il à vot' service?« fragte er schließlich.
    Hummel richtete seine Bestellung aus, indem er versuchte, sein Hochdeutsch durch den heimatlichen Thüringer Dialekt volkstümlicher zu machen, was die Verständigung ungemein erschwerte. Zuletzt begriff der Bauer. Er schalt gelassen auf seine Buben und drohte den Abwesenden mit der Faust. Dann schrie er machtvoll in den Hof hinunter nach dem Knecht. Ein kleiner pockennarbiger Mensch kam herangeschlurrt. Der Bauer gab ihm weitläufige Anweisung, mit dem Daumen über die Schulter nach Hummel zeigend. Nun führte er den Gast weiter; sie kamen an wohlgefüllten Kuhställen vorbei, rochen Schweinekoben, ein Trupp Gänse stob vor ihnen auseinander und watschelte entrüstet dem Misthaufen zu, der in voller Breite neben der Haustür lag. Laut sprechend wie mit einem Tauben nötigte der Bauer den fremden Herrn in die große, ebenerdige Küche, die zugleich als Stube diente.
    Drinnen war es dämmerig. Heinrich hörte irgend etwas schnurren, fühlte ausgetretene Fliesen unter seinen Füßen, Estrich und gestampften Lehm. Allmählich erkannte er den Herd mit dem verräucherten Windfang, daneben ein geblümter Ohrensessel, in dem eine alte Spinnerin saß. Wie eine Sagenfigur sah sie aus. In der erhobenen linken Hand hielt sie einen Wocken empor, in der rechten bewegte sie die Spindel. Von ihren Augen konnte man nur die Höhlen sehen, der Mund war nichts als ein schmaler Strich, über den sich seitwärtsein langer gelber Zahn hakte. Es schien Hummel, daß sie ihm zunicke, und er grüßte zurück. Dann aber merkte er, daß die Greisin ohne Aufhören nickte und dann wieder schüttelte, emsig, lautlos. Und jetzt fing sie an mit Murmeln und Schwatzen.
    Justin wischte mit der Hand einen Strohstuhl ab für den Fremden. »Meine alte Mutter, Monsieur, achtzig Johr vorbi. Sie müsse ihre G'schwätz net eschtimiere, für's ordenari isch sie alleweil still, awer d'r curé un d'r jeune homme , wo derbi 'g'si isch, han sie exzitiert.«
    »Ah, die beiden Herren waren also hier!«
    Justin wies zur Bestätigung auf den Weinkrug, der auf dem Tisch stand, und auf den Teller mit abgenagtem Hühnergerippe.
    » Ah oui, so 'ne poulet, il ne crache pas dessus, vot' curé . Am letschte Freitag, wo 'n er do g'si isch, hat er au so 'ne Mischtkratzerle reklamiert. ›Brings nur sans façon , Justin,‹ het er g'sait. ›I mach 'a Kreuz drüwer, d'rno isch's Fisch‹« Sein bartloses Gesicht mit der Aristokratennase bemühte sich, töricht auszusehen.
    Er ging zum Schrank, holte ein frisches Glas und schenkte Hummel ein. Der trank ihm zu: »Zur Gesundheit!«
    »A la vôt', monsieur!«
    Sie tranken.

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