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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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zutage, daß die Schlacht verloren war. »Ich spüre eine Wut gegen die Preußen, um sie in Stücke zu reißen. Aber was tun? Wir haben keine Waffen. Weiber aus der Stadt kommen an die Tür. Sie bringen den Gefangenen Suppe, Braten, Wein. Köstliches Eingemachtes. Wir sind bewacht von bärtigen Leuten mit niedrigen Mützen, Leute, die sich den ganzen Tag mit den Franzosen gerauft haben. Aber sie haben Gemüt, diese armen Teufel. Sie bringen uns das Essen heran, ohne selber einen Mundvoll davon zu genießen.«
    Françoise sprang auf. »Ist das nicht schön, ist das nicht wundervoll?«
    Jules zuckte die Achseln. »Sie haben keine Leidenschaft, diese Leute. Daher werden auch nicht sie es sein, die den Krieg gewinnen.«
    Einem der Soldaten, der ihm Essen gegeben, habe er heimlich Geld zugesteckt, damit er ihn herauslasse. »Aber da hätten Sie ihn sehen sollen, meine Damen. Er warf alles hin. Den Wein, den ich ihm angeboten hatte, goß er aus.«
    Françoise sagte nichts mehr. Sie starrte ins Weite. Ihr Gesicht hatte einen verzückten Ausdruck.
    Jules erzählte von dem Transport nach Rastatt. »Wir hatten es nicht schlecht, auf dem Marsche durch die Dörfer, warfen uns die Bauern über die Köpfe unserer Wächter Kartoffelnund Käse herüber. Und dann ist es mir gelungen – ich bin ganz einfach davongelaufen. Ein junges Mädchen, dem man einige Artigkeiten sagte, verschaffte mir diesen Anzug, den sie mir in einem Korbe mit Lebensmitteln brachte. Et me voilà. «
    Wieder betastete ihn seine Mutter. Sie schien es noch nicht fassen zu können, daß er da war.
    Françoise verabschiedete sich jetzt. Ihr war, als habe sie ein Geschenk bekommen, das sie so bald als möglich in Sicherheit bringen müsse. Immer sah sie die Szene vor sich, wie der Soldat den Verräterwein ausgegossen hatte; oder wie die Deutschen, selber hungernd, die Gefangenen speisten. »Ja, so sind sie, Heinrichs Landsleute!«
    Aber als sie jetzt unter ihrem Regenschirm durch die leere Straße ging, verschwand diese kurze Fröhlichkeit.
    Man besiegte Frankreich! Sie mußte sich diese Worte zweimal vorsagen, so unmöglich schienen sie. Ihre ganze Empfindung wehrte sich dagegen. Sie fühlte sich verwundet als Patriotin und zugleich als Weib. Frankreichs Sieg hätte auch sie persönlich erheben sollen. Vor Hummel. Im Heimlichsten ihres Stolzes hatte sie es ihm nie vergessen, daß er fortgegangen war, ohne sich von ihrer Liebe beschenken zu lassen. Die ganze Zeit her hatte sie auf das Glück gewartet, ihm, der traurig und besiegt heimkehrte, in vollem Triumphe zu Füßen knien und Trost sein zu dürfen. Jetzt war sie arm. Und die alte Demütigung brannte wieder auf.
    Ohne zu ihrem Hause einzulenken, ging sie weiter, der Biegung der Landstraße zu, weit über Thurwiller hinaus. Unter einem Schuppenvordach blieb sie stehen und legte beide Hände auf ihr trauriges Herz. Wie schlecht sie war! Nur an sich selber dachte sie bei den Unglücken ihres Landes! Sie seufzte. Dann, die Schultern vorgebeugt, wie gealtert, ging sie nach Haus.
     
    In Thurwiller traute keiner mehr dem andern. Der Förster hatte im Walde an einer ganzen Reihe von Bäumen Zeichen vorgefunden, ein »A« und dann wieder in einer andern Reihe den Buchstaben »R«: »Avancer« und »Retourner« übersetzte er sich das. Man wußte, allerlei Spione liefen herum, die den Preußen die Wege weisen wollten. Schmied-Louis schlug sich vor die Stirn: Tränkele hatte bei ihm vor einiger Zeit einen kleinen Hammer bestellt, in den sollten hohl zwei Buchstaben eingeschlagen werden: »A« und »R« .
    Wütend rannte er zum Stadthaus. Aber der alte Mann hatte ein schlechtes Gedächtnis. Endlich entsann er sich: das konnte nur für den Prussien gewesen sein, der damals in der Apotheke drüben gewohnt hatte, aber man müsse um Gottes willen den Mund darüber halten, sonst bringe man den guten Pharmacien am Ende noch in Teufels Küche.
    Schmied-Louis ließ sich denn auch beschwichtigen. Aber Tränkele ging am Abend hinüber in die Pharmacie und setzte der armen Tante Amélie dermaßen zu, daß sie ihm eine hübsche Summe Schweigegeld gab und die ganzen nächsten Tage nicht mehr von ihrem Rosenkranze loskam.
    Sie glaubte ihm das Märchen.
    Inzwischen drängten sich die Sensationen in Thurwiller. Schon wieder gab es ein Attentat. Auf einen der alten, mürrischen Wachtsoldaten war geschossen worden. Der Mann war nur leicht verwundet. Er erzählte, der Schuß sei aus der Ill heraufgekommen, die freilich jetzt nach den

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