Die verborgene Seite des Mondes
Wohnwagen ne ben dem Blockhaus.«
»Gehört er auch zur Familie?«
Wieder sah Ada Julia merkwürdig an. »Simon arbeitet auf der Ranch, aber zur Familie gehört er nicht.«
Mit Schwung lud sie den letzten Müllsack auf die Ladefläche des Pick-up, schlug die Heckklappe nach oben, schob die Riegel vor und kletterte hinter das Steuer. »Wenn du den Jungen siehst, erinnere ihn daran, dass Pipsqueak seine Flasche noch nicht bekommen hat und die Jungtiere gefüttert werden müssen. Er ist spät dran heute.« Die Tür schlug zu. Ada startete den Motor und er gab grässliche Laute von sich. Sie drehte eine Runde um die Schrottautos hinter Tommys Pick-up und holperte davon.
Julia schob ihre Hände in die Hosentaschen und sah dem Truck enttäuscht hinterher. Was hatte sie denn erwartet? Dass die Groß eltern ihren Tagesablauf umstellen würden, nur weil ihr einziger Sohn tot war und sie zum ersten Mal seit sechzehn Jahren Besuch von seiner deutschen Frau und seiner Tochter hatten? Dass sie ihrer Enkeltochter Fragen nach ihrem Leben stellen würden? Oder sich Zeit nehmen, um ihr die Gegend zu zeigen und ihr ein paar Indi anergeschichten zu erzählen?
Genau das hatte Julia erhofft und nun war sie enttäuscht. Das Leben auf der Ranch ging weiter seinen gewohnten Gang. Es gab Dinge, die getan werden mussten. Daran änderte auch Julias Anwesen heit nichts. Obwohl es doch der ausdrückliche Wunsch ihrer Großeltern gewesen war, sie kennenzulernen.
Schon am Morgen fühlte Julia sich müde und frustriert. Trotzdem beschloss sie, ein wenig durchs Gelände zu streifen und sich auf der Ranch umzusehen. Die Sonne begann jetzt richtig zu wärmen und ein frischer Duft von Beifuß lag in der Luft. Loui-Loui kam angetrot tet und lief ihr hinterher. Julia bückte sich und kraulte den alten Hund hinter den Ohren. Sie fand eine erbsengroße, mit Blut vollge saugte Zecke und zupfte sie mit einem Ruck aus dem Fell des Hun des. Er dankte es ihr mit einem treuen Hundeblick. Dann warf er sich auf die Erde und blieb im Schatten eines Busches zurück.
Zuerst inspizierte Julia die Scheune, die vollgestopft war mit ir gendwelchen Ersatzteilen für Landmaschinen, diversen Werkzeu gen, Kanistern und Eimern. Es roch nach Motoröl. An den Wänden hingen Sättel, Zaumzeug und verschiedene Seile.
Nachdem Julia die Scheune wieder verlassen hatte, lief sie über eine breite, befahrbare Holzbrücke. Der Bach, der aus den Bergen kam, bewässerte den Gemüsegarten ihrer Großmutter. Der Garten war von einem dichten Maschendrahtzaun umgeben, während ein Teil der Viehzäune aus einem Sammelsurium von ungleichen Hölzern be stand, die von Draht zusammengehalten wurden. Nichts war einheit lich, nichts gerade, aber am Ende ergab doch alles einen Sinn.
Etwas weiter vorn entdeckte sie ein rotes Eisentor und plötzlich machte sie eine Bewegung dahinter aus. Ein Junge stand dort, in ausgewaschenen Jeans und schwarz-rot kariertem Hemd. Die Klei dung hing lose an seinem Körper, das Hemd hatte einen ausgefrans ten Riss unter der linken Achsel.
Das musste Simon sein, der Rancharbeiter, von dem ihre Groß mutter gesprochen hatte. Der unheimliche Besucher von letzter Nacht. Wie peinlich, ihm jetzt zu begegnen!
Der Junge wandte ihr den Rücken zu und beugte sich über ein winziges braunes Kälbchen, das er aus einer überdimensionalen Nu ckelflasche fütterte. Im Schatten des Zaunes lag ein junger Hund mit glattem ockerfarbenem Fell, der vor sich hin döste. Weder der Junge noch der Hund hatten sie bisher bemerkt. Doch um sich unbemerkt wieder davonzuschleichen, war es längst zu spät.
Mit warmer Stimme redete der Junge auf das Kälbchen ein. »Na, du bist aber hungrig heute. Wie geht es denn meinem Baby? Ich bin spät dran, ich weiß. Hast du mich schon vermisst?«
Die Flasche war schnell leer, aber das Kälbchen mit den langen schwarzen Wimpern schien noch hungrig zu sein und stieß for dernd mit dem Kopf nach den Beinen des Jungen. »Hey, nicht so stürmisch, kleines Fräulein. Mehr gibt es nicht. Sonst wirst du fett.«
Der Hund wachte auf, entdeckte Julia und begann zu bellen. »Schon gut, Pepper, was ist denn los?« Der Junge richtete sich auf und drehte sich zu ihr um. Er war nur einen halben Kopf größer als sie, wirkte aber kräftig. Durch die ausgefransten Löcher in seinen Hosenbeinen schimmerten braune Knie.
»Hi«, sagte Julia und probierte ein Lächeln. »Ist das Pipsqueak?«
»Hm«, antwortete der Junge.
Er wirkte nicht überrascht, sie zu
Weitere Kostenlose Bücher