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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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wenigstens fragen können, ob ich das überhaupt will.«
    »Du hättest Nein sagen können.«
    »Dann wäre Granny enttäuscht gewesen.«
    »Dir liegt also etwas an ihr?«
    Julia zuckte mit den Schultern.
    »Wenn du sie wirklich magst, dann zeigst du es ihr am besten, in dem du dich nützlich machst. Ada hasst Faulheit.«
    Julia musste daran denken, wie enttäuscht und ärgerlich ihre Großmutter über Jason war und nickte. Ihre Mutter hatte ja recht. Simon schien wirklich harmlos zu sein. Aber sie hatte das ungute Gefühl, dass er ihr aus dem Weg ging und von ihrer Hilfe wenig be geistert sein würde.
    Zum Abendessen versammelten sie sich wieder im Ranchhaus. Ju lia hatte inzwischen mitbekommen, dass ihre Großmutter und Si mon mit dem alten Mann kommunizierten, indem sie ihm Nachrich ten oder Fragen auf Zettel schrieben. Diese Zettel und verschiedene Stifte lagen überall griffbereit herum. Aber Ada war ein sehr unge duldiger Mensch. Manchmal dauerte es ihr zu lange, etwas aufzu schreiben. Dann brüllte sie Boyd an und das verstand er meistens.
    Woran Julia sich nur schwer gewöhnen konnte war, dass ihre Großmutter rauchte wie ein alter Cowboy. Fast ständig hatte Ada eine Zigarette zwischen den Lippen, während sich der alte Mann nur ab und zu eine genehmigte. Zu Julias Entsetzen hatte sogar Hanna wieder angefangen zu rauchen, vermutlich, um ihre Nerven zu beruhigen. Ada scheuchte ihre deutsche Schwiegertochter he rum wie ein Huhn. »Hanna tu dies und Hanna tu das.« Danke sagte sie nie.
    Nach dem Abendessen wies sie Simon an, am nächsten Tag mit Julias Hilfe die Wegweiser aufzustellen. Julia konnte Simon deutlich ansehen, dass er mit der aufgezwungenen Gesellschaft genauso wenig einverstanden war wie sie, aber zu ihrem Bedauern protestierte er nicht. Auf ein bloßes Kopfnicken hin verschwanden Boyd und Simon schließlich hinter dem Haus. Hanna spülte das Geschirr und Ada schickte Julia mit einem Karton leerer Babygläser in den hinteren Teil des Hauses. Dort entdeckte Julia durch ein kleines Fenster ihren Großvater und Simon, wie sie in der Dämmerung arbeiteten.
    Der alte Mann hatte zwei Tage zuvor eine Kuh getötet und sie in vier Teile zerlegt. Nach altem Brauch wurde das Fleisch tagsüber in eine Plane eingeschlagen und in der Nacht, wenn es kühler war, an Haken in die frische Luft gehängt. Simon benutzte eine Art Fla schenzug dazu. Er musste sein ganzes Köpergewicht einsetzen, um die schweren Kuhviertel nach oben zu ziehen.
    Ada tauchte hinter dem Haus auf und Simon hängte das letzte Stück Fleisch an den Haken. »Ich k-k-kann die Wegweiser auch al lein aufstellen«, sagte er. »Ich b-rauche keine Hilfe.«
    »Das weiß ich, Junge«, entgegnete Ada. »Aber die Kleine macht ei ne schwere Zeit durch. Sich nützlich zu machen, wird sie auf andere Gedanken bringen. Außerdem seid ihr zu zweit viel schneller fer tig.«
    Simon widersprach ihr nicht und Julia ahnte, dass er nicht mal auf den Gedanken kommen würde, Derartiges zu tun. Ihre Großmutter war eine alte Frau und den Alten gab man keine Widerworte. Das war ein ungeschriebenes Gesetz bei den Shoshoni, so wie bei den meisten anderen Indianervölkern auch.
    Dieser Tag war noch heißer als die vorangegangenen gewesen und Simon wusste, dass die Zeit der kühlen Nächte bald vorbei sein wür de. In Shorts und T-Shirt lag er auf der blauen Schlafcouch in seinem Wohnwagen und las in Dostojewskis Die Brüder Karamasow .
    Obwohl Simon schon mitten in der Geschichte war, tanzten ihm die Figuren mit den schwierigen russischen Namen auf der Nase herum. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab, die Worte blieben nicht hängen. Jedes Mal, wenn er umblätterte, merkte er, dass er nicht mehr wusste, was auf der vorangegangenen Seite stand. Schließlich legte Simon den Wälzer resigniert beiseite. Er holte sich eine Flasche Wasser aus dem Küchenschrank und trank in langen Zügen.
    Danach legte er sich auf die Couch zurück und streichelte Pepper, der auf einer alten Decke am Boden schlief. Ein zufriedenes Brum men ließ den warmen kleinen Hundekörper erzittern. Simon hatte den jungen Hund im vergangenen Herbst blutend und kläglich win selnd vor Eldora Valley am Straßenrand gefunden. Er hatte ihn mit auf die Ranch gebracht und sich um seine Verletzungen geküm mert. Seitdem waren die beiden unzertrennlich.
    Der Zeiger seines Weckers rückte unerbittlich voran. Längst war es nach Mitternacht und am nächsten Morgen würde er wie immer kurz vor sechs aufstehen

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