Die verborgene Seite des Mondes
Eifersucht, ich schwöre es. Du...«Der Bock versetzte ihm einen Stoß vor die Schulter, Simon kippte nach hinten und saß auf der Er de.
Julia lachte und er drehte sich mit verdutztem Gesicht zu ihr um. Ganz offensichtlich war es ihm peinlich, dass sie Zeugin seines Ge sprächs mit Mr Black geworden war. Doch sie ließ Simon keine Chance, verlegen zu werden.
»Sind die gerade erst geboren?«, fragte sie.
»Ja.« Er rappelte sich auf und klopfte den Staub von seiner Hose.
»Kann ich reinkommen?«
»Mr Black m-mag keine Fremden.«
»Na, du scheinst ihm aber auch nicht ganz geheuer zu sein«, sagte Julia.
Simon schien einen Moment zu überlegen, dann nahm er das Zick lein mit den Schlappohren auf den Arm und reichte es ihr über den Zaun. Julia drückte ihre Nase gegen den Hals des Ziegenbabys und sog den feuchtwarmen Tierduft ein. Sie streichelte es, bis es anfing, kläglich nach seiner Mutter zu schreien. Mit einem bedauernden Lä cheln gab sie es Simon zurück, der es behutsam wieder auf den Bo den setzte. Die Ziegenmama war aufgestanden. Die beiden Kleinen drängten ihre rosa Mäuler ans Euter und begannen mit ruckartigen Bewegungen zu trinken.
»Die sind süß.«
»Ja. Aber die K-K-Kojoten werden sie holen, wenn ich den Zaun nicht repariere, bevor es dunkel wird.«
»Ich helfe dir, okay?«
»Okay.«
Inzwischen musste sie ihn für Dr. Doolittle halten, aber das war nun auch schon egal. Wahrscheinlich dachte sie, dass er nicht sonderlich helle war, und deshalb lieber Gespräche mit Tieren als mit Men schen führte. Manchmal jedenfalls betrachtete Julia ihn mit dem gleichen Blick, mit dem sie Pipsqueak ansah, Pepper oder vor ein paar Minuten die kleinen Ziegen. Simon wusste nicht, was er von diesem Blick halten sollte.
Er hatte Spuren von Tränen auf Julias Gesicht gesehen. Dafür, dass der plötzliche Tod ihres Vaters erst knapp drei Wochen zurücklag, hielt sie sich ausgesprochen tapfer, wie er fand. Manchmal lachte sie sogar, so wie eben über seinen Zusammenstoß mit dem Ziegen bock. Aber wenn ihre Augen aufhörten zu lachen, dann sah er die dunkle Trauer in ihnen.
Inzwischen hatte Simon bemerkt, dass Julias Augen ihre Farbe än derten, wenn das Licht wechselte oder ihre Gefühle umschlugen. Wenn sie enttäuscht oder traurig war, wurde die Iris dunkel wie die Blätter der Pappeln. Und wenn sie lachte, strahlten ihre Augen bei nahe so blau wie der Türkis, der sich in seiner Steinsammlung be fand.
Simon zeigte Julia, wo Hölzer lagen, die er für den Zaun verwen den konnte. Während sie die Latten herantrug, kümmerte er sich um Werkzeug, Nägel und Draht. Dann flickten sie unter Mr Blacks wachsamen Ziegenaugen das Gatter. Simon drinnen bei den Tieren und Julia draußen, auf der anderen Seite des Zaunes. Die Zicklein meckerten mit zaghaften Stimmchen und Simon redete mit ihnen.
Julia blickte ihn an, so voller Wärme, dass er verstört zu Boden sah. Dieses Mädchen schaffte es, ihn total zu verwirren.
»Wenn du mit den Tieren sprichst, stotterst du überhaupt nicht«, sagte sie. »Ist dir das schon mal aufgefallen?«
Simon schloss für einen Moment die Augen. Sie sagte das einfach so, als würde sie über das Wetter sprechen. »Ja. A-ber das zählt nicht.«
»Du darfst nicht so ernst nehmen, was Jason...was mein Bruder heute von sich gegeben hat.«
Er hob den Kopf und sah sie an. »L-eicht gesagt.«
»Ich weiß.« Julia lächelte mitfühlend.
Er entspannte sich ein wenig. Julia war eine gute Beobachterin, ihr Blick blieb nicht an der Oberfläche hängen. Ihre Offenheit war nicht aufgesetzt und in ihrem Wesen lag eine Nachdenklichkeit, die ihn neugierig machte. Auf einmal interessierte ihn, wie sie die Dinge sah, über die er sich in seinen einsamen Nächten den Kopf zerbrach. Dinge, über die er mit niemanden hier reden konnte.
War man ein komischer Vogel, wenn man die Einsamkeit der Ge sellschaft anderer Menschen vorzog? Stimmte es, dass man keine Liebe geben konnte, wenn man als Kind keine Liebe bekommen hat te? War es so, dass man etwas, das man begehrte, nur gegen etwas anderes eintauschen konnte, etwas, das einem ebenso lieb und teu er war? Konnte man auf der anderen Seite des Ozeans die verborge ne Hälfte des Mondes sehen?
Da war so vieles, das unausgesprochen in ihm arbeitete. Doch mit wem sollte er reden – außer mit Pepper? Ada wusste eine Menge, aber ihre Ansichten über das Leben und die Menschen waren ziem lich verschroben. Und es war schwierig, mit Boyd zu sprechen, für
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