Die verborgene Seite des Mondes
auszumachen.
Die Sonne stand jetzt hoch und es war mörderisch heiß zwischen den Beifußbüschen, sogar im Schatten der Pinie. Julia schwitzte, das Top unter ihrem T-Shirt klebte nass an ihrem Rücken. Sie wünschte, sie hätte Shorts angezogen statt der langen Jeans. Aber wenigstens ihr T-Shirt konnte sie ausziehen. Als sie es über den Kopf streifte, spürte sie Simons Blick für einen Moment auf sich ruhen, bevor er wegsah und seine Flasche erneut ansetzte.
»Schwitzt du gar nicht?«, fragte Julia.
Simon trug über seinem T-Shirt immer noch dieses löchrige ka rierte Hemd. Als wäre es seine Rüstung, die er um keinen Preis able gen wollte, weil er jeden Augenblick in eine gefährliche Schlacht verwickelt werden könnte.
»N-N-N . . . Fuck «, fluchte Simon, als er über die Lüge zu stolpern drohte. Er versuchte, sich zu konzentrieren und seine Zunge zu ent knoten. »Doch«, gab er schließlich zu.
»Aber . . .?«
Er bedachte sie mit einem kurzen Blick, in dem tiefe Unsicherheit lag. Schließlich zog Simon das Hemd aus und Julia wurde einiges klar: Die Brandnarbe an seinem Hals schien sich über die gesamte Schulter bis fast zum Ellenbogen zu ziehen. Jedenfalls reichte der kurze Ärmel seines T-Shirts nicht aus, um sie zu verdecken. Die nar bige Haut war rosafarben, mit wulstigen hellen Linien, die Simons Oberarm mit einem merkwürdigen Muster überzogen.
Julia zwang sich wegzusehen. »Tut mir leid.«
»K-ein Problem«, sagte er. »Ich muss nur aufpassen, dass ich kei nen Sonnenbrand bekomme. D-D-Deshalb das Hemd.«
Sie sah ihn wieder an. »Das hat bestimmt furchtbar wehgetan.«
»Ich war k-klein und kann mich nicht mehr daran erinnern.«
»Wie ist das denn passiert?«
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war das eine der Fra gen, die sie nicht hätte stellen dürfen. Julia biss sich auf die Unter lippe. »Ich wollte nicht . . .«
Simon holte tief Luft. »Heißes W-asser«, sagte er. »Es war heißes Wasser.«
Julia hätte gerne mehr gewusst. Wie es passiert war und wie alt er war, als es passierte. Wie alt war er jetzt? Tatsächlich erst siebzehn, wie Boyd gesagt hatte? Ohne Hemd sah Simon beinahe schmal aus, hatte aber muskulöse Arme.
Sie musterte ihn aus den Augenwinkeln, fragte jedoch nicht nach. Allmählich verschwanden die Falten von Simons Stirn und er ent spannte sich. Sie saßen im Schatten der Pinie, tranken und schwie gen. Doch es war kein unangenehmes Schweigen.
Eine kleine braune Grille wanderte an Julias Schuh vorbei über den rissigen Boden. Bald kam noch eine und dann noch eine. Als sie we nig später zum Pick-up zurückgingen, war der Schotterweg voller brauner Grillen, die sich alle zielstrebig in eine Richtung bewegten. Julia gab sich Mühe, keine zu zertreten. Simon achtete nicht weiter auf die braunen Insekten.
»Mormon Crickets«, sagte er verächtlich. »Die sind eine P-P-Plage, du brauchst sie nicht zu schonen.«
»Mein Pa hat mir erzählt, unsere Vorfahren hätten sie geges sen.«
Simon verzog angewidert das Gesicht.
Julia lachte. »Geröstet natürlich. Sie sollen vitamin-und fettreich sein.«
»Na, Mahlzeit«, sagte Simon und pfiff so lange nach Pepper, bis der kleine Streuner mit staubiger Nase zwischen den Beifußsträuchern auftauchte.
Simon ließ den Truck an. Er hatte es von Anfang an geahnt, dass Ju lia ihn ausfragen würde. Aber so furchtbar, wie er geglaubt hatte, war es gar nicht gewesen. Er hatte ihre Fragen beantwortet und sie war damit zufrieden gewesen. Beinahe jedenfalls. Ihm war klar, dass Julia gerne gewusst hätte, wie er zu seiner Narbe gekommen war. Aber sie hatte den Mund gehalten und er war ihr dankbar da für.
Schweigend fuhren sie ins Tal hinab, zurück zur Goldmine, und Si mon stoppte an der Abzweigung zur Straße, damit sie den letzten großen Wegweiser anbringen konnten. Er war aus einer alten, schweren Spanplatte gefertigt. Als sie das Schild am Maschendraht zaun, der das Minengelände umgab, befestigen wollten, rutschte es ihnen immer wieder weg. Sie hatten nicht mehr genügend Draht, um dem Wegweiser ordentlich Halt zu geben.
Simon blies sich das Haar aus der feuchten Stirn. Um seine Narbe vor der Sonne zu schützen, die unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel brannte, hatte er sein Hemd wieder übergezogen. Seine Hände kochten in den ledernen Arbeitshandschuhen und er streifte sie ab.
Für einen Augenblick sah es so aus, als hätten sie es geschafft, doch mit einem Mal kippte das Schild nach vorn. Der Pfeil zum Ver
Weitere Kostenlose Bücher